Astrid Ericsson wächst auf dem Land nahe der schwedischen Kleinstadt Vimmerby auf, wo ihre Eltern den Pachthof Näs bewirtschaften. Schon bald müssen auch Astrid und ihre Geschwister in der Landwirtschaft mit anpacken. Das ist nicht immer einfach, doch lehrt es sie, diszipliniert zu arbeiten und einiges auszuhalten. Vor allem die strenge und gläubige Mutter legt großen Wert darauf. Der Vater ist zwar fleißig und in der Gemeinde engagiert, aber er ist der sanftere und liebevollere Elternteil, der seinen Kindern den Rücken stärkt.
Astrid ist klug und dank der Fürsprache des Bankdirektors Ingeström, dem Vater ihrer Freundin Madicken, erlauben es die Eltern dem Mädchen, auf die Realschule zu gehen – obwohl der Besuch viel Geld kostet. Dort ist der Studienassessor Tengström so begeistert, von Astrids Aufsätzen, dass er sogar einen davon dem Chefredakteur der Vimmerby Tidning, Reinhold Blomberg, zeigt, der ebenso angetan davon ist und den Text veröffentlicht. „Unsere Selma Lagerlöf“, wird Astrid daraufhin oft genannt und damit aufgezogen. Ihre Mutter sieht schon vor sich, wie Astrid sich der schlimmsten aller Sünden schuldig macht: der Hoffart –viel zu eitel und hochmütig kommt sie daher. Doch Astrid ist zu dieser Zeit noch überzeugt: Schriftstellerin wird sie nie werden.
Der Redakteur Reinhold Blomberg wird Astrids Schicksal beeinflussen – er stellt das junge Mädchen als Volontärin bei seiner Zeitung an, wo sie ihr Schreibtalent weiterentwickeln kann. Und er schwängert sie, obwohl er verheiratet ist und schon mehrere Kinder (auch in Astrids Alter) hat. Er will sich scheiden lassen, doch Astrid will eigenständig bleiben. Wegen des Geredes im Dorf und gegen Blombergs Willen zieht sie während der Schwangerschaft nach Stockholm, gibt ihren Sohn in eine Pflegefamilie und macht eine Ausbildung zur Sekretärin.
So beginnt Astrids Leben in der Stadt, in der sie bis zu ihrem Tod wohnen wird. Der Anfang ist hart. Sie verdient kaum etwas, leidet oft Hunger und nicht nur einmal überlegt sie gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin, ob es nicht besser wäre zu sterben. Diese dunklen, schwermütigen Phasen durchziehen ihr ganzes Leben. Immer wieder versinkt sie in ihnen, kämpft sich aber mit ihrer unermüdlichen Energie, mit Disziplin und frischen Ideen wieder heraus. Viel Persönliches hat sie in ihren Geschichten verarbeitet.
Maria Regina Kaiser zeigt in ihrer neuen Romanbiografie „Astrid Lindgren – Helle Nächte, dunkler Wald …“, wie facettenreich die weltberühmte Autorin war – eine selbstbewusste Frau und loyale Freundin, die für sich und andere einstand und sich vor allem für die Rechte von Kindern und Tieren und für die Natur einsetzte; eine engagierte Frau, die unvergessliche Heldinnen und Helden erfand und als Redakteurin in einem Verlag viele andere Autoren und Autorinnen gefördert hat; eine fürsorgliche, aber auch eine verletzliche, verschlossene Frau, die ihre Gefühle sehr häufig für sich behielt. Ausgelassen konnte sie vor allem draußen sein, etwa wenn sie noch im hohen Alter durch den Wald tollte und auf Bäume kletterte.
In kurzen Episoden bringt Maria Regina Kaiser diese Frau den Leser*innen näher. Die Autorin wählt auf Grundlage der biografischen Quellen charakteristische Erlebnisse aus, verdichtet sie in ihrer Romanbiografie und macht aus ihnen höchst lesenswerte und unterhaltsame Geschichten aus Astrids Lindgrens Leben. Ich habe den Eindruck gewonnen: Genau so hätte es gewesen sein können. Maria Regina Kaiser erschafft ein Kaleidoskop von Eindrücken, die sich in zu einem (möglichen) Bild einer Frau zusammenfügen, das schillert, aber auch bedrückt, das ermutigt und beeindruckt, aber auch einiges offen lässt. Denn Astrid Lindgren hat ihr öffentliches Leben ganz bewusst inszeniert und manches verschwiegen oder anders dargestellt, als es tatsächlich war. In der Königlichen Bibliothek Stockholm liegt noch eine Vielzahl von handschriftlichen Dokumenten von ihr, die in den nächsten Jahren erforscht werden sollen.
Die Szenen aus Astrid Lindgrens Leben werden ergänzt durch einen umfangreichen, sehr interessanten Anhang mit biografischen Informationen, Abbildungen und einer Literaturauswahl.
Ich kann „Astrid Lindgren – Helle Nächte, dunkler Wald“ allen empfehlen, die sich für Leben und Werk der Autorin interessieren und auch der Frau Astrid Lindgren auf ganz besondere Art und Weise näherkommen wollen. Mich hat diese Romanbiografie dazu inspiriert, mich erneut mit einigen Büchern von Astrid Lindgren zu beschäftigen – und ich habe „Die Brüder Löwenherz“ für mich entdeckt, eine ebenso rührende wie abenteuerliche Geschichte für größere Kinder, aber auch für Erwachsene.
Maria Regina Kaiser: Astrid Lindgren – Helle Nächte, dunkler Wald ….
Südverlag, März 2021.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.