Vor fünfhundert Jahren starben die Götter. Die Magier erhoben sich gegen ihre Herren und bezwangen diese in einem beispiellosen Kraftakt. Seitdem geht die Welt zugrunde. Immer größere Teile der Pflanzen- und Tierwelt stirbt, selbst die Rohmagie, von der sich die unsterblichen Magier nähren und aus der sie ihre Kräfte ziehen wird immer seltener. Einzig die auf der Erde verwesenden Götterleichen versorgen die einander misstrauisch beäugenden Magier mit Nachschub, doch auch diese Quellen drohen zu versagen.
Im Kampf um Himmelsinseln die allein genügend Nachschub an Rohmagie für alle Magierfürsten bieten würden, hat Salazar, der Tyrann von Dorminia die Küstenstadt Schattenhafen in einem grausigen Moment mit einer gigantischen Meereswelle von der Landkarte gefegt. Unzählige Menschen sind tot, selbst seinen Augmentoren hat der Despot über die Magiebindung die diesen übertragenen Kräfte genommen um den Zauber zu wirken. Seine Gegnerin die Weiße Lady von Thelassa ist im Zugzwang, eine Invasion Dorminias droht mit verheerenden Folgen für Salazar.
Drei unterschiedlichen Erzählern folgen wir in diese explosive Situation.
Zunächst ist dies der Halbmagier Eremul, den einzigen Magier, den Sarazar aufgrund seiner geringen Kräfte am Leben gelassen hat. Zwar hat der Tyrann ihm beide Beine amputiert, und ihn gezwungen, als Verräter die Unzufriedenen unter den Bürgern Dorminias um sich zu scharen, nur um diese dann an die Rote Wache zu verraten, doch sein armseliges, von Neid und Hass vergiftetes Leben durfte Eremul ebenso behalten wie seine ihn plagenden Hämorriden.
Dann gibt es da einen gewissen Davarius Cole – Sohn eines Helden und selbsternannter Retter Dorminias. Dass der junge Mann unter massiver Selbstüberschätzung leidet mag man ihm nachsehen, dass er sich zum Assassinen ausbilden lässt, um den verhassten Sarazar zu meucheln nötigt dem Leser einen gewissen Respekt ab, bevor ihn die nervtötende Ignoranz und das übersteigerte Selbstwertgefühl Coles fast zur Verzweiflung bringen.
Zum Schluss der große Auftritt für den alternden Barbaren Brodar Kayne. Einst als Schwert des Nordens der gefürchtetste Kämpfer der Hohen Klippen und versierter Schlächter der Abscheulichkeiten, bringt ihn seine Prostata und der tägliche Kampf, seinen Urin tröpfchenweise loszuwerden langsam um die sonst so hervorragende Selbstbeherrschung. Das lichter werdende Haupthaar hätte er ebenso wie die reißenden Gelenke akzeptieren können, doch das mühsame Tröpfchen für Tröpfchen herauspressen des gelben Körpersaftes zehrt an seinen Nerven.
Sie alle treffen, nachdem sie zu Beginn schon einmal in Dorminia Station machten erneut in der belagerten und umkämpften Hafenstadt aufeinander
Früher war die Fantasy-Welt einfach – der Held war ein junger, talentierter Recke, der begleitet von einigen Gefährten im besten Alter auszog, das Böse in seine Schranken zu weisen und die Welt zu retten.
Mittlerweile haben Schurken, Mörder und Diebe das Zepter in vielen Fantasy-Werken an sich gerissen, machen altersschwache Assassinen, heruntergekommene Götter und tattrige Magier die Buchhandlungen unsicher.
Dennoch, vielleicht gar, weil ich mich in den alten Protagonisten wiedererkennen kann (?), sind mir die neuen Handlungsträger sympathisch. Sie haben ihre Weh-Wehchen, müssen Nachts mehrmal zum Wasserlassen aufstehen, leiden unter Runzeln, so Mancher würde diese eher als Krater im Gesicht bezeichnen, unter Impotenz und mangelnder Leistungsfähigkeit, kompensieren dieses Manko aber durch ihre reichhaltige Erfahrung.
Luke Sculls Auftaktband einer Trilogie erinnert dabei was die Personen anbelangt frappierend an die Werke Joe Abercrombies. Allerdings nutzt Scull seine Anleihen dann doch ganz anders und eigen, so dass der Leser sich auf einen finster-realistischen Fantasy-Roman freuen kann, in dem die Magie eine wesentliche Rolle spielt. Geschickt greift der Autor immer wieder bekannte Versatzstücke gängiger Fantasy-Plots auf, wandelt diese dann ein wenig um seine Rezipienten zu überraschen. Das hat viel Tempo, jede Menge Dramatik und atmet die dreckige Luft einer Stadt, die zunächst unter ihrem Despoten später dann unter den Invasoren stöhnt. Nachdem das Schicksal der meisten Hauptpersonen dieses Bandes im Finale erfüllt ist, wird der Autor im zweiten Teil, der in Großbritannien für seine Veröffentlichung gerade ansteht, wohl andere Figuren in den Mittelpunkt eines Plots stellen.
Vorliegend hat Luke Scull bewiesen, dass er hervorragend und packend zu erzählen weiß, dass er aus Anleihen bei bekannten Vorbildern etwas Eigenes kreieren kann und den Leser in eine realistische Fantasy-Welt entführt.
Luke Scull: Schattenkrieger.
Heyne, Januar 2014.
624 Seiten, Taschenbuch, 15,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.