Karolina Ramqvist: Die weiße Stadt

ramqvistDer Winter in Schweden ist noch nicht vorbei. Überall Schnee, Eis und Kälte. Nach dem Tod ihres Partners lebt Karin mit ihrer kleinen Tochter Dream in der Villa am Rande der Stadt. Während sie stillt und mit ihrer neuen Situation als Witwe überfordert ist, bricht ihr Leben auseinander. Kein Geld, kein Strom, kein Telefon und zu allem Übel werden ihr Haus und Auto in wenigen Tagen zwangsgeräumt beziehungsweise gepfändet.
Mit einer Familie im Rücken könnte sie einen neuen Anfang finden.

»Wenn man dachte, dass alles in Ordnung kommen würde, wäre es dann auch so? Oder sollte man lieber denken, dass nichts gut werden würde, als eine Art Bannspruch.« (S. 158)

Karin wurde am Todestag ihres Partners verbannt. Für sie ist nichts mehr normal, denn sie war die Frau eines Gangsterbosses. Für sie und ihr Baby galten und gelten andere Regeln, und ein schlechtes Ende ist Programm. Was kann sie noch erreichen, wenn sie nichts mehr zu verlieren hat?
Karolina Ramqvists weiße Stadt ist nicht nur winterlich kalt. Sie beschreibt so präzise eine junge Frau am Rande der Gesellschaft, dass ein klares, unmissverständliches Bild entsteht: über die Qualen des Körpers nach der Entbindung, die Veränderung des Alltags mit einem Baby oder die brutale Kehrseite von Abhängigkeiten. Wenn Karin stundenlang durch Eis und Schnee ihren Kinderwagen schiebt, ohne Mütze, Schal und Handschuhe der Kälte ausgesetzt ist, wenn sie ihre Freunde vergeblich um Hilfe bittet, braucht es keine weitere Dramaturgie mehr, um das nackte Überleben zu beschreiben. Jeder mühsame Schritt folgt einer Logik. Karin kann aufgeben, einem neuen Mann vertrauen oder kämpfen mit dem, was ihr geblieben ist. Sie will eigenes Geld haben. Eigenes Geld bedeutet Unabhängigkeit.

Der Traum junger Frauen ist bei der Lektüre dieses wundervollen Romans endgültig geplatzt. Karin wurde nicht von ihrem Prinzen gerettet, um bis zu ihrem Lebensende geliebt, geborgen ein glückliches Leben zu führen. Nach dem Motto »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott« kommt sie zu einem Entschluss, der Rettung und zugleich große Gefahr verspricht. Karolina Ramqvists Frauenfigur nimmt ihr Leben in die Hand, weil ihr nichts anderes übrig bleibt. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Ein glücklicher Ausgang ist Zufall oder Verdienst. Das offene Ende erlaubt aber auch eine dritte Variante, einen Fingerzeig auf das Finale eines Kampfes.

Die 1976 geborene Autorin zählt in Schweden zu den einflussreichen feministischen Autorinnen und empfing 2015 unter anderem den Per-Olov-Enquist Preis für ihren Roman »Den vita staden« (»Die weiße Stadt«). Schmusegeschichten darf man von ihr nicht erwarten, dafür erstklassige Literatur, die ohne Erklärungen auskommt, um die Härte des Überlebens offenzulegen.

Karolina Ramqvist: Die weiße Stadt.
Ullstein, Oktober 2016.
192 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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