Kai Hensel: Terminal

Das Berliner Wahrzeichen hat sein Fell durch Beton- und Konstruktionsschlachten verloren. In den letzten zwei Dekaden gab es unzählige Berichte über den Flughafen Berlin-Brandenburg. Sie prangerten Inkompetenz, Schludrian und Vetternwirtschaft an. Im Zentrum des Interesses blieb der „ProblemBER“, der lange Zeit alles war, nur kein Flughafen.

Theoretisch hätte man über dieses Desaster ein Sachbuch oder sogar einen Wirtschaftskrimi schreiben können und dabei möglicherweise die Orientierung im Wirrwarr der Mängel verloren. Für dieses brisante Thema nutzte Kai Hensel seine Erfahrung als erfolgreicher Drehbuch- und Theaterautor und setzte episodenhaft eine Geschichte zusammen, die das untrennbare Für und Wider aufzeigen. Entstanden ist ein äußerst unterhaltsamer, pointierter Roman über Interessenkollisionen, in dem unterschiedliche Charaktere aufeinanderstoßen. Sie alle sind von Träumen und Wünschen beseelt. Zum Beispiel die junge Jana, die Motorradrennen über alles liebt. Während sie nachts auf einem Moped Pizza ausliefert, kollidiert sie mit dem Oldtimer des ehemaligen Bürgermeisters Pankelow. Auch dieser träumt. Er strebt seinen politischen Neustart im Rampenlicht an. Statt Ärger bietet er Jana einen Job als Fahrerin an. Doch sie bringt nicht nur ihre Fähigkeit als gute Mechanikerin mit. Ihre Neugier offenbart Akteure, die entweder den Flughafen eröffnen oder zerstören wollen. Unweigerlich wird auch sie zu einer Akteurin und bringt sich dabei in Schwierigkeiten.

So wie systematisch das Chaos auf der Baustelle des Flughafens zum Vorschein kommt, so entwickelt sich zwischen den Beteiligten ein Wirrwarr aus Hoffnungen. Einige von ihnen können den Flughafen retten oder zerstören. Verrat, Betrug, Hinterlist und direkte Angriffe offenbaren den Ernst der Lage.

Im Zentrum des Romans erklärt ein gescheiterter Journalist Jana das ruinöse System des Flughafens: „Alle Mängel […] stehen in Beziehung. Haupt- und Nebenmängel, Aktiv- und Passivmängel, statische und dynamische Mängel […]. Eine Fensterscheibe, das Glas zwei Millimeter zu dünn. Ein statischer Mangel. Wenn es aber durch den Rahmen tropft, wenn die Tropfen durch die Fliesen sickern und es in den falsch verlegten Kabeln zu einem Kurzschluss kommt, wird aus dem statischen ein dynamischer Mangel mit unabsehbaren Folgen.“ (S. 117)

„[D]er Flughafen wuchs, stand still und zerfiel, alles zur selben Zeit.“ (S. 120)

Jana und Pankelow suchen nach Antworten. Während Jana viel über Baumängel erfährt, verspricht der ehemalige Bürgermeister seinen Mitarbeitern und zukünftigen Kooperationspartnern alles und korrigiert geplatzte Versionen mit immer neuen Versprechungen. Der Autor lässt seine Charaktere dynamisch auf ein mögliches Desaster zusteuern. Mit Sprachwitz und Situationskomik steigert Kai Hensel ein spannungsreiches Chaosreigen bis zum erlösenden Finale.

Warum deutsche Verlage diesen wunderbaren und originellen Roman abgelehnt haben, ist nicht nachvollziehbar.

Kai Hensel: Terminal.
Unionsverlag, März 2021.
288 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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