Judithe Little: Die Schwestern Chanel

Die Schwestern Julia-Berthe, Gabrielle und Antoinette Chanel werden 1897 von ihrem Vater Albert in einem katholischen Waisenhaus in Aubazine, mitten in der französischen Provinz, abgegeben. Die Mutter ist an Tuberkulose (und vielleicht auch an Einsamkeit) gestorben. Der Vater ist als fahrender Händler viel unterwegs. Die Kinder kann er dabei nicht brauchen, auch, weil er diversen Frauenbekanntschaften nicht abgeneigt ist.

„Ich komme wieder“, hatte Albert versprochen, wurde aber daraufhin nie mehr gesehen. Die Mädchen leiden am Verlust der Mutter, an der Abwesenheit des Vaters und an der Strenge der Schwestern im Waisenhaus. Sie waren ein freies Leben gewohnt.

„Die Nonnen von Aubazine gaben uns ein Dach über dem Kopf. Sie gaben uns zu essen. Sie versuchten, unsere Seelen zu retten und uns zu zivilisieren, indem sie Struktur und Ordnung in unsere Tage brachten. Doch die Leere in unseren Herzen konnten sie nicht füllen.“ (Kapitel 2)

Die freundliche und herzensgute, aber auch sehr leichtgläubige Julia-Berthe kommt noch am besten damit zurecht. Doch Gabrielle (die später zur weltberühmten Coco Chanel werden wird) und Antoinette fühlen sich unerwünscht und zur Seite geschoben. Sie wollen sich nicht mit dem scheinbar vorgezeichneten Lebensentwurf begnügen, einen Handwerker, Kaufmann oder Bauern zu heiraten und vielleicht ein bisschen Geld durch Nähereien dazu zu verdienen. Ihr Ziel ist es, „etwas Besseres“ zu werden und zu erreichen. Dahinter steckt auch das Bedürfnis, ihrem treulosen Vater zu zeigen, dass sie etwas wert sind.

Adrienne, die jüngste Schwester von Albert Chanel, wird zur Vertrauten der Mädchen. Sie schauen zu der nur wenig älteren, charmanten Tante auf, die ebenfalls die vorgegebenen Pfade verlassen möchte. Nach ein paar Jahren dürfen Gabrielle und Antoinette tatsächlich dasselbe Pensionat besuchen wie Adrienne. Gemeinsam lesen sie „Mélos“, romantische Geschichten, und träumen sich hinein in die Welt der Schönen und Wohlhabenden. Eng verbunden, erleben „die drei Grazien“ ihre Jugend und werden erwachsen.

Die US-amerikanische Autorin Judithe Little spannt in ihrem Roman „Die Schwestern Chanel“ den zeitlichen Bogen von 1897 bis 1921. Sie erzählt die Geschichte aus der Sicht der jüngsten Schwester Antoinette (genannt Ninette). Ninettes Leben und Lieben steht im Mittelpunkt, aus ihrer Perspektive berichtet sie auch über Gabrielle und Julia-Berthe. (Leserinnen und Lesern, die mehr über Coco Chanels Leben erfahren möchten, kann ich die Romanbiografie von Nadine Sieger empfehlen.)

Die Autorin nimmt sich viel erzählerische Freiheit, denn über ihre Protagonistin Ninette ist nur sehr wenig bekannt. Doch ich kann mir gut vorstellen, dass es genau so gewesen sein könnte. Die damalige Zeit wird durch Judithe Littles Worte greif- und erlebbar. Die Sehnsüchte der so verschiedenen Mädchen beschreibt sie gefühlvoll und mit viel Herz.

„Die Schwestern Chanel“ ist ein sehr lesenswerter historischer Roman über starke Frauen, die lernen, Hindernisse zu überwinden, ihre Träume zu verwirklichen und zueinander zu stehen. Dabei kommen sie nicht ohne größere und kleinere Verletzungen davon. Doch sie rappeln sich immer wieder auf – durch gegenseitige Unterstützung, durch den Glauben an die Liebe und an sich selbst. Ich habe beim Lesen mitgelitten und mich mitgefreut.

Klare Empfehlung für alle, die diese Art von Geschichten mögen.

Judithe Little: Die Schwestern Chanel.
HarperCollins, Dezember 2020.
400 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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