Wer Endzeit-Szenarien in der Literatur liebt, wird das Buch „Opfer“ von Jesper Wung-Sung in einem Rutsch lesen.
Das Jugendbuch beschreibt ein ähnliches Szenario wie z. B. King in „Die Kuppel“: Eine Gruppe von Menschen ist ohne Vorwarnung von der Umwelt abgeschlossen und auf sich gestellt, ein Kontakt nach außen ist kaum oder gar nicht möglich, der Grund für die Isolation ist unbekannt, bestehende Konflikte verschärfen sich, die Rangordnung wird neu ausgehandelt (oder erkämpft), Vorräte gehen zur Neige und am Ende geht es um Leben und Tod.
So eine Geschichte kann nicht verharmlosend erzählt werden, sie geht an die Substanz:
Benjamins Schule wird plötzlich unter Quarantäne gestellt. Alles fängt ganz harmlos an. Sein Vater, der Direktor der Schule, bittet die Schüler, nach Schulschluss noch kurz auf dem Gelände zu bleiben. Wegen einer Epidemie müsse man Vorkehrungen treffen. Aber dann wird ein Zaun um die Schule errichtet. Urplötzlich darf niemand mehr das Gelände verlassen. Und über allem schwebt eine Drohne.
Lehrer und Schüler werden krank, einige sterben. Ein Helikopter wirft erst regelmäßig Essen und Medikamente ab, dann seltener, und schließlich bricht die Versorgung ab.
Kinder und Lehrer werden brutal an ihrer Flucht aus dem Gefängnis, zu dem ihre Schule geworden ist, gehindert.
In dieser Atmosphäre verändern sich die Freundschaften und Feindschaften unter den Schülern, einige versuchen so zu tun, als sei alles normal, der Unterricht wird fortgeführt, ein Matratzenlager eingerichtet; andere glauben an eine Rettung, einige verzweifeln oder versuchen, in der Situation einen Sinn zu finden und es entsteht eine neue Ordnung.
Liam beschreibt diese kleine Welt ohne Lehrer und Regeln so: „Keiner, der uns im Flur stoppen kann! Keiner, der stoppt, was wir nicht selbst stoppen wollen! Keine Erwachsenen! Eine Schule, in der uns niemand vorschreibt, was wir machen sollen! Eine Welt, in der wir selbst bestimmen können!“
Nur eine Entscheidung wäre tödlich: Das eingezäunte Areal zu verlassen …
Wung-Sungs Geschichte ist fatalistisch und seine Sprache kraftvoll und poetisch.
Ein Jugendroman, der Erwachsene gleichermaßen in Bann zieht und bereits mit William Goldings „Herr der Fliegen“ verglichen wird.
LESEN!!
Jesper Wung-Sung: Opfer.
Hanser, Februar 2016.
144 Seiten, Taschenbuch, 13,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.