Inga Vesper: In Aufruhr

1959, an einem Sommertag in Santa Monica beschließt Joyce, ihren Mann ein letztes Mal zu küssen und ihr Leben von Grund auf zu ändern. Am gleichen Tag meldet Ruby der Polizei ein Verbrechen. Die junge Putzfrau wird kurz darauf von der eintreffenden Polizei rüde behandelt und verhaftet. Niemand hilft ihr. Über 24 Stunden bibbert sie in ihrer Zelle vor Angst. Niemand befragt sie, niemand glaubt ihr. Sie wird wie eine rechtlose Person behandelt, mit der ein Polizist machen kann, was er will. Als Detektive Blanke sie erst nach Sichtung des Tatortes sehen darf, sieht Ruby einen Hoffnungsschimmer. Der Neue im Revier glaubt ihr und gibt ihr die Freiheit zurück.

Blankes Chef ist darüber verärgert, denn für ihn ist Ruby die Hauptverdächtige bei einem möglichen Verbrechen ohne Leiche. Ruby ist eine junge Farbige und trägt in seinen Augen ein Schild auf dem Rücken: „Schwarze sind immer schuldig.“

Inga Vesper hat in ihrem ersten Kriminalroman, übersetzt von Katharina Naumann und Silke Jellinghaus, die Thematik Abhängigkeit verpackt, die sie schon lange beschäftigt. In der Anmerkung der Autorin findet sich hierüber die Geschichte aus den Neunzigern, als ihr Englischlehrer das Leben im amerikanischen Traum lobte: Ein Vorstadthaus, Dad und zwei gesunde Kinder am Esstisch und Mom, die einen Truthahn serviert. Die Autorin fand es gruselig, „[…] dass das Gesicht der Frau kaum zu sehen war, weil sie den Blick gesenkt hielt. Sie lächelte nicht. Sie war die Einzige, die die Situation nicht mit den anderen teilen konnte.“ (S. 382)

Doch wie war das Leben der Frauen tatsächlich? Für die reichen, weißen Hausfrauen („Haie in gestärkten Blusen“) gab es einige zu vermeidende Minenfelder: die der Kirche, der freundlichen, aufdringlichen Nachbarinnen, die alles sahen, alles wussten und das Frauenkomitee für den gesellschaftlichen Fortschritt. Für Joyce passen all diese Leitlinien in keiner Weise. Immer, wenn sie Hilfe brauchte, schauten mögliche Helfer weg und wenn sie aus der Reihe tanzte, ertrug sie Maßregelungen. Und Ruby, die verarmte Putzkraft, steht noch weiter unten auf der Leiter zur freien Lebensgestaltung. Bei beiden Frauen wird der Bildungswille systematisch ausgebremst, weil (finanzielle) Abhängigkeit der Treibstoff für den Motor des weißen Mannes ist. Weil Joyce als einzige Weiße Ruby wie einen Menschen behandelt, will sie Joyces spektakuläres Verschwinden aufklären. Ruby will es wissen. Sie ermittelt auf eigene Faust, und teilweise arbeitet sie mit Blanke zusammen. Extrem sympathisch hat Inga Vesper diese Frauenfigur Ruby aufgebaut. An einer Stelle fragt sie ihren Freund, ob sie einen gemeinen Weißen vor dem Todesurteil retten soll, weil nur sie seine Unschuld beweisen könne? Der kurzweilige, charmante Kriminalroman lebt von Rubys Geschichte. Die junge Frau kämpft und vertritt ein Rechtsbewusstsein, dass häufig schon verloren gegangen ist. Bitte mehr von solch starken und wunderbaren Heldinnen.

Inga Vesper: In Aufruhr.
Kindler, April 2021.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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