Als Peter seine Cousine Victoria während seiner Sommerferien zum ersten Mal besucht, ist er dreizehn Jahre alt. Sie wohnt im Märkischen auf dem großen Gut ihres verstorbenen Vaters und lebt das Leben einer alternden Jungfer, die vom Leben nichts mehr erwartet. Robert, der sechszehnjährige Sohn ihres Gärtners, glaubt auch, nichts mehr erwarten zu dürfen. Er schwärmt für die etwa gleichaltrige Isolde, die häufig bei Victoria zu Gast ist. Peter verbringt viel Zeit mit Isolde und Robert. Dabei wird er Zeuge wie Schwärmerei, Eifersucht und nicht erwiderte Liebe auch Victorias Gemüt durcheinanderbringt. Der mit Victoria befreundete Pfarrer Kindsberg, der zugleich auch Isoldes Onkel ist, fragt Peter aus und beschließt, seine Nichte mit einer gemeinsamen Auslandsreise fortzulocken. Der Urlaub wird zum Erstaunen aller länger als geplant; Roberts Vater stirbt, und Victorias Liebe, der Dichter Mühsal, zieht weiter.
Fünf Jahre später besucht Peter seine Cousine ein zweites Mal. Auch Mühsal erscheint. Trotz gleicher Personenkonstellation hat sich vieles geändert. Mit den Erfahrungen des jungen Erwachsenen lotet Peter wie ein Detektiv die Gefühle seiner Freunde und die psychologischen Hintergründe aus und hat auf einmal selbst mit unerwarteten Gefühlen zu kämpfen. Victoria fragt ihn: „Wissen möchte ich nur eins: ob man immer so viel lügen muß, sich immer blind stellen muß, um jemanden lieben zu können, wie ich diesen da geliebt habe? Oder ob überhaupt nur solche Närrinnen, wie ich eine war, wirklich lieben können?“ (S. 140/141)
Ungewöhnlich nuanciert beschreibt der 1906 in Berlin geborene Herbert Schlüter die Facetten der Liebe. Im Mittelpunkt steht die schwärmerische und nicht erwiderte Liebe, die wie eine Krankheit das Denken, Handeln und sogar die komplette Zukunft der Betroffenen verändern kann. Auch die Versuche einer „Heilung“ werden in der Geschichte seziert, bis letztendlich alles offenbart ist. Interessant ist, wie Peters persönliche Haltung zu der Liebe ein Eigenleben gewinnt. Aber auch die Beschreibung von Mühsals Karriere (nomen est omen.) zeigt aufschlussreiche Parallelen zu dem Schriftsteller Schlüter.
Sein komplexer Sprachstil erfordert ein hinreichendes Maß an Aufmerksamkeit, um zum einen die Informationsdichte in einem einzelnen Satz und zum anderen das auffällig Nicht-gesagte im Kontext zu erfassen.
„Nach fünf Jahren“, Herbert Schlüters zweiter Roman, war 1932 zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines ersten Romans „Die Rückkehr der verlorenen Tochter“ fertig. Doch Emigration im April 1933, Armut und Heimatlosigkeit standen seiner Karriere im Weg. Auch Fürsprecher wie zum Beispiel Erika und Klaus Mann konnten ihm nur bedingt helfen. 1947 wurde „Nach fünf Jahren“ erstmalig veröffentlicht, weitere Werke und Übersetzungen folgten. Herbert Schlüter starb am 15. Februar 2004.
Herbert Schlüter: Nach fünf Jahren (1947).
Lilienfeld Verlag, August 2008.
190 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.