Francesco Vidotto: Der Klang eines ganzen Lebens

Fabro wird Anfang November 1925 in einem Bergdorf in den Dolomiten geboren. Die Welt dort oben ist unwirtlich. „In jenem Herbst war es so kalt, dass die Betten hart waren wie Holz.“ Deshalb verlegt die Großmutter die Geburt kurzerhand in den Kuhstall, wo es zwischen den Kühen Mosca, Dama, Nobila und America warm und fast schon gemütlich ist.

Die Geborgenheit in der Familie prägt Fabros Leben. Der Vater ist Hufschmied und „ein guter Mensch“, der niemandem etwas abschlagen kann. Von der Schule hält er allerdings nicht viel: „Er sagte, dass man Bücher nicht essen kann und dass es besser ist, dumm zu leben, als gescheit zu sterben.“ Aber weil er seine Frau liebt und sie keinen größeren Wunsch hat, als dass ihr Sohn lesen und schreiben lernt, gibt er schließlich nach.

Fabro ist kein guter Schüler, aber mit Hilfe seiner Freundin Rina, schafft er den Abschluss nach der fünften Klasse und beginnt danach, seinem Vater in der Werkstatt zur Hand zu gehen, denn das Geld ist knapp. Als Rina heiratet, trifft ihn das hart. Doch sie war schon lange einem anderen Mann versprochen, da ist nichts zu machen und über seine Emotionen zu sprechen fällt ihm nicht leicht.

Dann kommt der Krieg und alles wird anders. Fabros Familie bricht auseinander, doch er findet auch zurück zu Rina. Fast unerträgliches Leid und überwältigendes Glück liegen für ihn in den folgenden Jahren dicht beieinander. Und er entdeckt die Musik für sich, die ihn intuitiv mit den Bergen und der Natur verbindet. Sie wird für ihn, der selten große Worte macht, zum Ausdruck seiner Gefühle und – neben der Zuneigung – zum Element, das seine Familie verbindet.

Der italienische Autor Francesco Vidotto entfaltet in seinem ersten auf Deutsch erschienenen Roman „Der Klang eines ganzen Lebens“ eine Welt abseits der Städte, in der die Menschen auf die Natur angewiesen und ihr immer wieder fast schutzlos ausgeliefert sind. Aber sie haben gelernt, damit zu leben. Armut ist zwar an der Tagesordnung, doch sind auch alle bestrebt, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Im Mittelpunkt steht der Zusammenhalt in der Familie und im Bekanntenkreis. Die gewaltige Schönheit der Bergriesen, des sternenbedeckten Firmaments und der dunkeln Wälder entschädigt für vieles und rückt die Dimensionen ins rechte Licht. Gutes und Böses wird meist demütig angenommen, doch oft bleibt auch Platz für Individualität und Veränderung.

In einer einfachen, fast kargen Sprache lässt Francesco Vidotto das Leben von Fabro und seiner Familie vor den Augen der Leserinnen und Leser vorüberziehen und spiegelt so den Charakter der Natur und der Menschen. Er erschafft liebenswerte Figuren, die einem ans Herz wachsen und eine Geschichte, die die Seele berührt, was auch der einfühlsamen Übersetzung von Rita Seuß und Walter Kögler zu verdanken ist. Die Geschichte führt vor Augen, dass man auch mit wenig materiellen Besitztümern und trotz eines schweren Schicksals ein erfüllendes Leben führen kann, wenn man vertraute Menschen um sich hat und seinem Leben einen Sinn gibt. Eine Erkenntnis, die zwar nicht neu ist, aber nicht oft genug wiederholt werden kann.

„Es erschien mir unglaublich, dass ein einfaches Stück Papier so viel Gefühl enthalten konnte“, denkt sich Fabro einmal, als er einen Brief von Rina liest und genauso ging es mir oft in diesem Roman.

Ein kleines Buch, das bewegt und unterhält. Klare Empfehlung!

Francesco Vidotto: Der Klang eines ganzen Lebens.
Bastei Lübbe, Oktober 2018.
192 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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