Der Husumer Otto Kemmerich (1886 – 1952) war ein Extremsportler, der das Abenteuer im Meer suchte. Nach seiner beruflichen Karriere als Herausgeber von mathematischen Formeln wurde er Profischwimmer. Hierfür entwickelte er den Schwimmstil in Seitenlage weiter und schwamm lebensgefährliche und damit auch medientaugliche Routen. Ganz auf sich gestellt suchte er das offene Meer bei jedem Wetter, jeder Strömung und Wassertemperatur, um nach Stunden zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle vor Publikum an Land zu gehen.
Vorträge und Gastspiele in den Kurorten, der Verkauf von Autogrammen und vieles mehr dienten der Versorgung seiner Familie. Auch das lukrative Preisgeld für die Querung des Fehmarnbelts half ihm, seine Berühmtheit zu festigen. Vermutlich hätte er den Ärmelkanal in einer sehr guten Zeit schaffen können. Er wollte unbedingt schneller sein als Trudy Ederle, um die Überlegenheit des Mannes wieder ins richtige Licht zu rücken. Doch unterwegs wurde er vermutlich von einem Hai attackiert und verletzt, so dass seine Begleiter den bewusstlosen Kemmerich aus dem Wasser ziehen mussten. Einen zweiten Versuch dieser kostspieligen Expedition konnten weder sein Sponsor noch er selbst stemmen. Damit platzte Kemmerichs Traum, für seine Familie eine finanzielle Absicherung zu schaffen. Also tingelte er weiter mit immer neuen spektakulären Aktionen zu den friesischen Kurbädern.
Der Historiker und Sportjournalist Erik Eggers hat mit seinem Buch Der Mensch als Fisch eine spannende Lektüre geschaffen. Der findige, hochtrainierte Ausdauersportler Otto Kemmerich hatte sich auf lange Alleingänge in bewegter See spezialisiert. Zu seiner Orientierung hingen Kompass und Uhr in wasserdichten Glasbehältern am Handgelenk. Die Verpflegung war mit seinem Körper verbunden, der in einem schwarzen Gummianzug steckte. An seinen Händen trug er spezielle Handschuhe, bei denen der Stoff zwischen den Fingern an Schwimmhäute erinnerte.
Wer mit seinen sportlichen Leistungen Geld verdienen muss, braucht Werbung. Also suchte Kemmerich regelmäßig die Zeitungsverlage auf, erzählte von seinen Plänen und Anekdoten, so dass seine Einmaligkeit inklusive Unterhaltungswert Publikum anlockte. Ein Wettschwimmen mit dem dressierten Seelöwen Leon gehörte genauso dazu wie seine Auftritte mit der Löwin Lea. Fast zwei Tage lang schwamm er vor zahlendem Publikum in einem gläsernen Pool und holte sich damit den Weltmeistertitel, während sein Mitschwimmer, der Seelöwe Leon, übermüdet aufgab.
Otto Kemmerich schrieb Sportgeschichte. Sie schien vergessen, wenn nicht Erik Eggers anlässlich seiner Magisterarbeit in Fußballzeitschriften der 1920er Jahre auf Randnotizen stieß, die über den Ausdauerschwimmer Kemmerich aus seiner Heimat berichteten. 1924 gab dieser der Sylter Zeitung ein Interview und erklärte, „… Ich schwimm so lang ich kann … Wenn meine Kräfte zu Ende sein würden, dann kommt in letzter Stunde die Ohnmacht und umfängt mich wie eine gütige Vorsehung.“ (S. 114) Am 16. August 1952 schwamm er im Amrumer Tief dieser Vorsehung entgegen.
Für den sportinteressierten Leser lohnt sich auch die ergänzende Lektüre über Trudy Ederle aus dem gleichen Verlag.
Erik Eggers: Der Mensch als Fisch: Die Abenteuer von Otto Kemmerich, friesischer Schwimmpionier.
Verlag Eriks Buchregal, September 2020.
128 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.