Clemens Meyer: Die stillen Trabanten: Erzählungen

Clemens Meyer (1977 in Halle an der Saale geboren) lebt und arbeitet in Leipzig. Für seine Arbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Presse ist voll des Lobes für den Autor, der schon mit großen Erzählern wie Salinger oder Hemingway verglichen wurde. Im März erschien Meyers neuestes Werk „Die stillen Trabanten – Erzählungen“ beim S. Fischer Verlag.

Darin drei mal drei Erzählungen, die von jeweils einer Miniatur eingeleitet werden. Da ist der alternde Mitarbeiter eines Wachdienstes, der seinen Dienst in einer Trabantenstadt versieht, zu der auch ein Ausländerwohnheim, das Objekt 95, gehört. Für ihn verweben sich während eines nächtlichen Rundganges Vergangenheit und Gegenwart miteinander, in denen er sich seiner Zuneigung zu einer Bewohnerin des Objektes 95 (wieder-)erinnert. Oder der alte Mann auf einer Bank, der einem Unbekannten von der alten Strandbahn entlang der Küste erzählt.

In der Titelgeschichte „Die stillen Trabanten“ verliebt sich ein Imbissbudenbesitzer in ein muslimisches Mädchen, das mit seinem Freund im gleichen Hochhaus wohnt wie er. Gemeinsam rauchen sie Zigaretten im Hausflur, er beginnt im Koran zu lesen und zeigt ihr die Lichter der Großstadt. Der alte, ehemalige Jockey Frank möchte einmal in seinem Leben das Pferderennen auf dem vereisten St. Moritzsee sehen und schafft es nie. In „Die Entfernung“ versucht der Triebwagenführer eines Güterzuges den Mann zu verstehen, der sich lachend vor seinen Zug stürzte.

Willi Bredel, der Arbeiterschriftsteller aus Hamburg, hadert in der Lenin-Bibliothek in Moskau mit seinem Roman über den Piraten Klaus Störtebecker und der Idee eines „neuen Deutschland“, während Nazi-Deutschland weiter vorrückt.

In den Miniaturen (Eins, Zwei, Drei) geht es um den Tod eines Flüchtlingsjungen, einen Ausflug mit dem krebskranken Vater eines Freundes und um die Recherchen eines Medienvertreters zu Wolfsmenschen in Wolfen.

Clemens Meyers Geschichten deprimieren. Sein „poetischer Realismus“ ist grau in grau oder dunkel wie die Nacht, er zieht mich als Lesende hinab ins Stimmungstief. Seine Figuren sind still, einsam, vernachlässigt. Sie gehen weiter auf einem Weg, der zuweilen in die Übernahme einer anderen Identität führt, wie bei dem jungen Mann, der nach einem Einbruch in seiner Wohnung, geschockt durch die Stadt läuft, bei einer alten Frau Unterschlupf findet und von ihr für ihren heimgekehrten Enkel Lukas gehalten wird oder dem Triebwagenführer, der sich als Schulfreund des Mannes ausgibt, der sich vor seinen Güterzug gestürzt hat.

Ich lese und ahne, dass den Menschen dieser Geschichten kein Glück beschert sein wird, dass weiteres Unheil für sie an der nächsten Ecke wartet. Und das gilt für (fast) alle in diesem Band versammelten Erzählungen. Mich ermüdet diese Aussichtslosigkeit. Mir fehlen die Ausschläge in die eine oder andere Richtung. Hier reiht sich trostlose, düstere Eintönigkeit aneinander.

Keine Frage: Clemens Meyer schreibt in einer schönen Sprache, er bemüht alte Mythen und Märchen, aber mich fesseln die Geschichten nicht, sie lassen mich unbeteiligt, ungerührt zurück. Und das liegt aus meiner Sicht an Meyers fehlender (sprachlicher) Wärme für seine Figuren.

Er seziert ihr Verhalten und ihre Handlungen gekonnt wie ein Pathologe in einem gekachelten, klinisch reinen Raum. Seine Beobachtungen sind genau, detailreich, jedoch seltsam distanziert und kalt. Und das wirkt auf mich als Lesende durchdringender als die (eigentlich) zu Herzen gehenden Themen (Tod, Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Träume) seiner Geschichten, schade.

Clemens Meyer: Die stillen Trabanten: Erzählungen.
Fischer, März 2017.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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