Der deutsche Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink (Jahrgang 1944) schreibt Erzählungen und Romane. Darunter auch ab Ende der 1980er Jahre eine Kriminalroman-Trilogie mit dem Privatdetektiv Gerhard Selb („Selbs Justiz“, „Selbs Betrug“ und „Selbs Mord“), für die ich hier gerne eine Leseempfehlung ausspreche. International bekannt wurde Schlink durch seinen Roman „Der Vorleser“ (1995), der 2008 mit Kate Winslet und David Kross verfilmt wurde. Am 13. Dezember 2023 erschien im Diogenes Verlag Bernhard Schlinks neuester Roman „Das späte Leben“.
Zwischen Leben und Tod
Darin erfährt Martin Brehm, ein emeritierter Professor für Rechtsgeschichte, von seinem Hausarzt, dass er Bauchspeicheldrüsenkrebs hat. Er ist sechsundsiebzig Jahre alt und hat noch sechs Monate zu leben. Brehm ist mit Ulla verheiratet, die drei Jahrzehnte jünger ist als er und als Künstlerin arbeitet. Sie haben einen sechsjährigen Sohn mit dem Namen David. Sowohl Martin als auch Ulla nehmen die Nachricht gefasst auf. Nun will Martin die restlichen Wochen seines Lebens dazu nutzen, seinem Sohn etwas zu hinterlassen, was ihm im Gedächtnis bleibt. Er beginnt, David einen Brief zu schreiben. Ansonsten führen die drei ihr gewohntes Leben fort. Martin bringt David in den Kindergarten, kocht und gärtnert. Ulla arbeitet in ihrem Atelier. David ist ein stiller, schüchterner Junge. Martin will ihm seine Weltsicht erklären: er schreibt etwas über Gott, über Liebe, über die Arbeit und über den Tod. Er verbringt ein Vater-Sohn-Wochenende mit ihm und gemeinsam legen sie einen Komposthaufen an. Martin will, dass David einmal seine Erbstücke (Schreibtisch und Sessel) von den Großvätern übernimmt. Ulla hat derweil eine Affäre mit Peter Gundolt, einem ihrer Käufer. Sie findet, dass David zu sehr Martins Sohn ist, und er ihn mit seiner Hinterlassenschaft noch nach dem Tod an sich bindet. Ulla leidet sehr darunter, dass ihr eigener Vater angeblich nichts von ihr wissen wollte und sich schon früh von Ullas Mutter trennte. Martin versucht herauszufinden, warum Ullas Vater die Familie damals verlassen hat. Zuletzt fahren sie gemeinsam ans Meer, bis es Martin schlechter geht, und er sein Lebensende im Hospiz verbringen wird.
Ein zwiespältiges Leseerlebnis
Bernhard Schlink erzählt „Das späte Leben“ klug, nüchtern und konventionell. Die Geschichte ist, wie nicht anders von Schlink zu erwarten, gut geschrieben und sie ist „sterbens“-langweilig.
Sein alter, weißer Protagonist hat eine junge Frau und einen kleinen Sohn. Ulla ist eine ehemalige Studentin (nicht seine, wie die Hauptfigur betont), sie malt und hat, während ihr Mann todkrank ist, eine Affäre mit einem jüngeren Mann. Der Sohn ist ruhig, brav und lässt sich gerne Märchen vorlesen. Soweit eine Familienkonstellation am Rande des Klischees. Martin will ein guter Vater sein, er kümmert sich um seinen Sohn, verbringt Zeit mit ihm. Aber offenbar reicht ihm (oder seiner Frau) das nicht: Martin soll David etwas hinterlassen. An sich eine Idee, die ehrenwert ist. Doch das, was Bernhard Schlink seinen Protagonisten da in einen Brief packen lässt, hat ausschließlich etwas mit dem Sterbenden zu tun und nichts mit seinem Sohn. Und für Martins ausgeprägte Selbstzentriertheit gibt es noch mehr Beispiele im Text: Martin baut einen Komposthaufen mit David, weil er einen Komposthaufen gut findet. Sie malen gegenseitig ihre Portraits für Ullas Geburtstag, aber Martin gefällt Davids Darstellung von ihm nicht, er bringt das Kind zum Weinen. Selbst als Schlink Ulla diese Bedenken äussern lässt, und ich als Lesende erwarte, dass es endlich ‚Klick‘ macht, bleibt die Hauptfigur sich treu und fantasiert sich den herangewachsenen Sohn an Großvaters Schreibtisch oder in Großvaters Sessel. Martins Recherchen zu Ullas Vater verhelfen dem Roman auch nicht zu mehr Emotionen oder psychologischer Tiefe.
Zum Glück fahren alle zum Schluss ans Meer (nicht an einen Pool, wie das Covermotiv suggeriert), verbringen Zeit miteinander und schauen dem Sonnenuntergang zu (auch wieder so ein Lebensende-Abschieds-Klischee).
Bernhard Schlink erzählt mit „Das späte Leben“ eine ruhige und gefühlsarme Geschichte vom Sterben und Überleben. Und das führt leider bei mir dazu, dass beim Lesen kein Funke überspringt. Am Ende klappe ich das Buch zu: Ich habe Mitleid mit diesen distanzierten, kontrollierten und affektarmen Figuren, aber ihre Geschichte lässt mich kalt.
Bernhard Schlink: Das späte Leben.
Diogenes, Dezember 2023.
240 Seiten, Hardcover, 26,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.