Poetisch, politisch, philosophisch – „Kein Freund außer den Bergen“ ist ein vielschichtiges Manifest, das weit über die persönlichen Fluchtmemoiren von Behrouz Boochani hinaus geht.
In Form von Tausenden SMS-Nachrichten schrieb Boochani aus dem Gefängnis Manus an seinen Freund Omid Tofighian, der den Text vom Persischen ins Englische übersetzte. Das daraus entstandene Buch wurde mit dem wichtigsten australischen Literaturpreis sowie dem Preis für das beste Sachbuch im Bundesstaat Victoria ausgezeichnet. Die autobiographische Erzählung mischt literarische Elemente mit politischen Kommentaren und wissenschaftlichem Vokabular. Damit vermittelt sie auf mehreren Ebenen einen tiefen Einblick in die Realität der australischen Flüchtlingspolitik.
Von Indonesien aus tritt der kurdische Dichter Behrouz Boochani die gefährliche Seereise nach Australien an. Mit rund 60 anderen Flüchtlingen an Bord eines kleinen Schiffes wird die Überfahrt bald zu einem erbitterten Kampf ums Überleben, den Boochani nur knapp übersteht. Statt dem erhofften neuen Leben in Australien folgt die Einwanderungshaft im Internierungslager Christmas Island und schließlich der Transport nach Manus, einer tropischen Insel im Pazifik. Auf dem Territorium Papua-Neuguineas hat die australische Regierung ein Lager eingerichtet, in dem Flüchtlinge fernab des australischen Hoheitsgebiets jahrelang und ohne Anklage festgehalten wurden.
Im „Gefängnis Manus“, wie Boochani es nennt, ist das Leben für die Gefangenen eine einzige Qual: Sengende Hitze, tropische Moskitos, schockierende hygienische Zustände, Hunger, schlechte medizinische Versorgung und physische Gewalt durch das Sicherheitspersonal. Der Aufenthalt auf Manus nimmt den längsten Teil des Buches ein.
Boochani beschreibt die Zustände im Gefängnis detailliert – teilweise konkret, teilweise metaphorisch. Er analysiert die Dynamiken zwischen den Gefangenen und deren Verhalten in Extremsituationen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Willkür des Gefängnis-Systems zu. Den sich ständig ändernden Regeln und Vorschriften sind die Gefangenen vollständig ausgeliefert, was Boochani als systematische Folter bezeichnet.
Sprachlich auffällig ist der poetische Stil des Buches, der für westliche Lesende fremdartig und ungewohnt wirken kann. Auch in der deutschen Fassung schimmert die besondere persische Poesie durch. Der Fließtext wird immer wieder durch kurze lyrische Einwürfe unterbrochen, die das Geschehen auf ihre ganz eigene Art untermalen. Der Text ist nicht immer einfach zu lesen und hat vor allem im Mittelteil einige Längen, was als Stilmittel verstanden wiederum gut zum Erzählten passt.
Trotz oder gerade wegen seines ungewöhnlichen Stils beeindruckt und berührt Boochanis Geschichte auf sehr besondere Art und Weise. Auf vielen Ebenen bereichert sein Buch: Persönlich, philosophisch, sowie den Diskurs um Flucht, Flüchtlingspolitik und modernen Kolonialismus. Empfehlenswert für jeden, der sich von ungewohnten Erzählformen nicht abschrecken lässt!
Behrouz Boochanie: Kein Freund außer den Bergen: Nachrichten aus dem Niemandsland.
btb, März 2020.
448 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Johanna Wunsch.