Berkeley Park im Frühjahr 1912. Während die Welt entsetzt ist über den Untergang der Titanic, geht auf dem Landsitz der adeligen Familie Clay alles seinen traditionellen Gang. Die Dienerschaft weiß, wo ihr Platz im Leben ist, an Traditionen hält man fest. Einzig Rhys, ältere der jungen Mylords und Ella, ein irisches Dienstmädchen, teilen ein Geheimnis. Bis ein schrecklicher Unfall Ellas Gedächtnis und ihr munteres Wesen löscht.
Auf einer Tour durch Berlin lernt Rhys Auguste von Schongau kennen, eine verwöhnte Tochter aus gutem Haus, die ihrer bürgerlichen Enge entfliehen will. Arbeiten zu gehen brachte keine Befreiung, heimlich in einer Kneipe zu kellnern und zu singen befriedigte sie kaum – warum nicht mit Rhys nach England gehen, und dort ihre Künstlerseele an der Seite des schönen Adeligen ausleben? Schnell, fast überhastet, werden die beiden sich einig. Doch Auguste hat die Rechnung ohne die sittenstrenge Viscountess Olivia, Rhys Mutter gemacht. Die ist gar nicht darauf erpicht, dass ihr eine Schwiegertochter aus dem Feindesland ins Nest setzt, eine, die auf Traditionen pfeift und Flausen im Kopf hat. Bald prallen die zwei Welten aufs Heftigste aufeinander und setzen Ereignisse in Gang, die alle ins Unglück stürzen können.
Amy Forster hat ihren Roman in einer interessanten Epoche angesiedelt: zwei Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, der sich in der immer aufgeheizter werdenden Stimmung ankündigt, in einer Zeit, in der die ersten Menschen, allen voran die Sufragetten in England, versuchen, das strenge Standesdenken und ie Bevormundung der Frauen zu durchbrechen. Die Autorin stellt die Schicksale von Ella und Auguste einander gegenüber: Ella, der Dienstmagd, der aufgrund ihrer Herkunft verwehrt ist, ein anderes Leben zu führen, als das ihr vorgegebene, fügt sich in ihr Dasein, vergisst, was sie einst bewegte. Sie kämpft sich auf beeindruckende Art ins Leben zurück. Auguste, eine Frau, die, obwohl auch nicht frei, so viele Möglichkeiten gehabt hätte, ist zu verwöhnt und lebensuntauglich, um daraus etwas zu machen. Eine selbstzerstörerische Kraft treibt sie dazu, alles, was sie hat, mit Füßen zu treten. Die Autorin macht es dem Leser nicht leicht, Auguste sympathisch zu finden, zu destruktiv ist sie, als das man Verständnis für ihre verborgene Verletzlichkeit und Auswegslosigkeit empfinden möchte. Umso bewegender ist es, Ellas Weg aus dem Nebel des Vergessens in ein viel selbstbestimmteres Leben zu beobachten, als das anfangs möglich schien. Dies alles spielt sich vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden politischen Situation, die, so weiß es der Leser, direkt in den ersten Weltkrieg münden wird. Die Brüche und Veränderungen reißen am Ende nicht nur eine Familie, sondern ganz Europa in den Abgrund. Der Roman liefert Stoff zum Nachdenken, bewegende Schicksale und Figuren, mit denen man gerne mitfiebert.
Über die Autorin:
Amy Forster liebt ferne Länder. Als Isabel Beto veröffentlicht sie erfolgreich historische Sagas und sie hat auch Romantisches und Fantastisches in ihrem Repertoire. Diesmal geht es nach England.
Amy Forster: Der Himmel über Berkeley Park.
Knaur, Februar 2015.
480 Seiten, Taschenbuch,14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Susanne Ruitenberg.