Sayaka Murata: Die Ladenhüterin

Keiko Furukura gehört einer ganz besonderen Spezies an: Sie ist überzeugte Konbini-Angestellte. Das hat natürlich seinen Grund: In den Konbinis, den rund um die Uhr geöffneten „Convenience-Shops“, gibt es für alles Vorgaben und Regeln. Wenn man sie beherzigt eckt man nicht an, wird anerkannt und gilt als „normal“. Und genau das möchte Keiko: normal sein und nicht auffallen, keinen Ärger verursachen und in Ruhe gelassen werden.

Schon als kleines Kind hat sie gemerkt, dass sie anders ist als andere. Gefühle waren und sind nicht ihre Welt, sie geht die Dinge logisch an. Warum muss man ein totes Vögelchen, das man auf dem Spielplatz findet, begraben und darf es nicht essen, obwohl man doch auch andere Vögel isst und der Vater so gerne Hähnchenspieße mag? Warum darf man eine Schulhofprügelei nicht beenden, indem man den beteiligten Jungs eins mit der Schaufel auf den Kopf gibt, obwohl jemand lautstark darum gebeten hat, dass jemand sie aufhalten soll? Das ist schwierig zu verstehen für die kleine Keiko und auch der großen Keiko fällt das noch schwer. Doch sie hat sich eine Strategie zurechtgelegt, die ihr hilft, durchs Leben zu kommen: wenig Privates reden und sich anpassen.

Im Konbini fällt ihr das leicht. Für jedes Problem scheint es eine Lösung zu geben, die Aufgaben wiederholen sich, sie weiß immer, was zu tun ist, alles wird geübt, bis es „sitzt“, selbst der Tonfall der Begrüßungsfloskeln und das freundliche Lächeln. Dass sie dort gelandet ist, ist reiner Zufall. Auf der Suche nach einem Aushilfsjob ist sie während ihres Studiums als Ladenhilfe in einem Konbini hängen geblieben und daran hat sich jetzt, 18 Jahre und 8 Filialleiter später, noch nichts geändert. Eher halbherzig hat sie versucht, eine „richtige“ Arbeit zu finden, aber nach und nach wird der Konbini zu ihrem Biotop, nichts kann sie von dort vertreiben.

So langsam beginnt allerdings ihre Umwelt zu nerven: Warum sie in ihrem Alter noch immer als Ladenhilfe arbeitet, wollen die Leute wissen. Warum sie noch nicht verheiratet ist und Kinder hat, fragen die Bekannten. Und auch die Eltern und die jüngere Schwester, die Keiko lieben, aber trotzdem nicht verstehen, beginnen sich Sorgen um ihre Zukunft zu machen. Da bahnt sich eine Lösung in Person einer neuen männlichen Aushilfe an. Obwohl sie Shiraha nicht ausstehen kann, weil er sich nicht an Regeln hält und alles in Frage stellt, ergreift Keiko die Initiative. Ganz rational, wie es ihre Art ist, schlägt sie ihm vor, bei ihr einzuziehen. Daraus können beide ihre Vorteile ziehen: Shiraha hat eine Unterkunft und jemanden, der ihm das Essen zahlt, nachdem er im Konbini rausgeflogen ist, Keiko kann endlich – zum ersten Mal in ihrem Leben – einen Mann vorweisen, was ihr im ganzen Umkreis begeisterte Kommentare einbringt. Doch so einfach wie gedacht, gestaltet sich die ganze Sache nicht.

Sayaka Murata lässt Keiko ihre Geschichte erzählen, wie sie eben selbst auch ist: Lakonisch, ohne große Gefühle, mit vielen Fragezeichen, was Konventionen angeht. Keiko ist eine – für mich –sympathische Außenseiterin, deren Gedankengängen ich ohne weiteres folgen konnte. Auch wenn die japanische Gesellschaft und ihre Gepflogenheiten sich doch ein ganzes Stück von den europäischen „Sitten und Gebräuchen“ unterscheiden, gibt das Buch auf sehr unterhaltsame, oft witzige Weise Denkanstöße, was das „Anderssein“ und die Erwartungen der Mitmenschen betrifft.

Für „Die Ladenhüterin“ – übrigens ein schön doppeldeutiger Titel – gewann Sayaka Murata, die wie Keiko in einem Convenience Store arbeitet, den renommiertesten Literaturpreis Japans, der Roman ist dort ein Bestseller.

Dieses Buch war für mich ein besonderes Erlebnis, ein Blick über meinen Tellerrand, der mir Lust macht, mich mehr mit japanischer Literatur zu beschäftigen. Deshalb eine klare Empfehlung von mir an alle, die ebenfalls Freude daran haben, etwas nicht ganz Gewöhnliches zu lesen.

Sayaka Murata: Die Ladenhüterin.
Aufbau Verlag, März 2018.
145 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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