Michael Kumpfmüller: Ach, Virginia

Während Virginia Woolf in ihren letzten Lebenstagen den Krieg, der in ihrem Inneren tobt, mit sich ausficht,  fliegen deutsche Kampfflugzeuge über Südengland und das kleine Cottage, in dem sie und ihr Mann Leonard wohnen. Die Welt und – schlimmer noch – ihr eigenes Leben sind im Aufruhr und einer ständigen Bedrohung ausgesetzt. Melancholie, Selbstzweifel, diffuse Ängste, Mühsal und Leiden während des Schreibprozesses, lassen sie ihr Leben immer mehr als Qual empfinden. Die geniale Schriftstellerin, die ihrer Zeit weit voraus ist, zerbricht an ihrer schweren Persönlichkeitsstörung. Befreiung findet sie in Selbstmordgedanken.

Michael Kumpfmüller hat versucht, sich in diesen Seelenzustand zu versetzen und die 10 letzten Tage ihres Lebens nachzuempfinden, was sicher eine intensive Studie mit allen denkbaren Befindlichkeiten einer verwirrten, destruktiven Persönlichkeit und der Biografie Virginia Woolfs erfordert hat. Immer wieder lässt er Virginias Gedanken auch zu ihren vergangenen Werken abschweifen, was er stimmig in den Ablauf einbaut.

Virginia Woolf tut sich schwer mit der nachlassenden Beachtung der Gesellschaft. Inzwischen kommen so gut wie keine Gäste mehr in das Cottage, dabei lechzt sie nach Bestätigung und Bewunderung. Doch sie bezweifelt, ob sie jemals wieder schreiben kann, hadert überhaupt mit allem und hinterfragt kritisch ihre sämtlichen Fähigkeiten. Ständig ist sie müde, möchte schlafen, dann wieder schreiben, sie isst kaum, weint viel und fühlt sich dabei total ausgepowert und zerstört. Sie spricht mit den Vögeln, hat kurze Begegnungen mit Geistern. Abstruse und völlig konfuse Gedanken bestimmen ihr Handeln. Ihren Mann Leonard empfindet Sie in seiner Fürsorge als Aufpasser, dem sie entfliehen möchte. In einem Abschiedsbrief an ihn zeigt sie sich dann wiederum versöhnlich und dankbar.

Im März 1941 ertränkt sie sich im Fluss unweit ihres Cottages.

Michael Kumpfmüllers Zeilen lesen sich düster und beklemmend aber glaubhaft, was wiederum durch seine gewählte Erzählhaltung, nämlich aus Virginia Woolfs Gedankenwelt heraus, erzeugt wird. Die Kapitel sind in Zorn und Zärtlichkeit gegliedert, was auch die Ambivalenz ihrer geschundenen Seele wiedergibt.

Michael Kumpfmüller: Ach, Virginia.
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2020.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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