Lousie Doughty: Was die Nacht verschweigt

Lisa Evans beobachtet, wie sich nachts am Bahnhof von Peterborough ein Mann vor einen Zug wirft. Lisa kann nichts gegen den Selbstmord unternehmen – denn sie ist ein Geist. Vor 18 Monaten hat es an derselben Stelle einen ganz ähnlichen Todesfall gegeben. Nur ein Zufall? Oder gibt es einen Zusammenhang zwischen den Suiziden?

Nicht nur Lisa, sondern auch die Polizei wird auf den örtlichen Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen aufmerksam. So beginnt auch PC Lockhart, sich erneut mit dem Selbstmord vom letzten Jahr auseinanderzusetzen, auf der Suche nach möglichen Verbindungen.

Für ihren neunten Roman „Was die Nacht verschweigt“ wählt die britische Autorin Louise Doughty eine ungewöhnliche Perspektive. Lisa, deren Geist an den Bahnhof gefesselt ist, berichtet uns als entrückte, übergeordnete Ich-Erzählerin über ihre Beobachtungen rund um ihre unfreiwillige Heimat. Unterbrochen werden diese Schilderungen davon, dass sie sich stückchenweise daran zu erinnern beginnt, wer sie einmal war. Diese Sequenzen kommen meist plötzlich wie eine Art Flashback, wenn Lisa durch irgendetwas an ein früheres, eigenes Erlebnis denken muss.

Dass der Einstieg in ein Buch für mich schwierig ist, merke ich meist daran, dass meine Lese-Motivation nicht aus sich selbst heraus entsteht, sondern eher einem „Ich-muss-irgendwann-mal-mein-Buch-weiterlesen“ gleicht. So war es für mich auch bei diesem Roman. Lisas geisterhafte Sicht auf die Ereignisse ist innovativ und bietet den Vorteil, dass sie als Erzählerin sowohl die Bahnhofsszenen als auch ihre eigene Vergangenheit wiedergeben kann. Allerdings schafft sie durch ihre Entrücktheit eine Distanz zur Story, die sich auch auf den Leser überträgt. Immer wieder verfängt sich ihre Aufmerksamkeit bei Nebensächlichkeiten oder Passanten am Bahnsteig. Dies ist zwar was den Plot anbelangt sehr schlüssig, geht aber zu Lasten des Erzähltempos, weshalb der Roman für mich einige Längen hat.

Abseits dieser Kritikpunkte erzählt Doughty eine vielschichtige Geschichte, die in einigen Teilen durchaus Spannung aufzubauen vermag. Nach der Eingangsphase wird „Was die Nacht verschweigt“ vor allem zu einer Paar-Analyse, worin in meinen Augen die größte Stärke des Romans besteht. Eindrücklich zeigt uns Louise Doughty, wie zerstörerisch zwischenmenschliche Beziehungen sein können, auch wenn sie hier ebenfalls von einer etwas strafferen Erzählweise profitiert hätte.

Lousie Doughty: Was die Nacht verschweigt.
Aus dem Englischen übersetzt von Astrid Arz.
Penguin Verlag, Mai 2022.
512 Seiten, Taschenbuch, 11,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sarah Beumer.

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