Devid Striesow ist als Schauspieler in Deutschland ein bekanntes Gesicht mit einer beeindruckenden Fülle von Auftritten im Theater, in Film und Fernsehen. Wie gut er seine Sache macht, belegen auch seine zahlreichen Auszeichnungen. Nicht ganz so bekannt ist, dass er mit der klassischen Musik eng verbunden ist. Das hat er mit Axel Ranisch gemeinsam, der ebenfalls (vielfach ausgezeichnet) als Schauspieler, aber auch als Regisseur, Autor und Opernschreiber sein Brot verdient. Für mich ist er das Highlight in der Krimi-Fernsehreihe „Zorn“ (als Schröder) und auch als Regisseur und Drehbuchschreiber von „Ich fühl mich Disco“ hat er mich schwer beeindruck.
Nun haben die beiden mit „Klassik drastisch – Lippenbekenntnisse zweier Musik-Nerds“ ein Buch über klassische Musik geschrieben, in dem sie darüber berichten, wie sich ihre Leidenschaft entwickelt hat und was diese Musik für sie bedeutet. Übrigens sind sie mit einer gleichnamigen Reihe auch in „Deutschlandfunk Kultur“ zu hören, die zum Teil in dieses Buch eingeflossen ist.
Los geht es mit einem Bekenntnis von Axel Ranisch: „Ich bin ein Klassik-Nerd. Ich habe nicht ein Konzert-Abo, sondern zwei. Ich besitze nicht 100, sondern 1472 CDs (und noch mal 1148 Schallplatten).“ (Seite 7)
Höchst unterhaltsam und charmant erzählt er, wie es dazu gekommen ist, obwohl er in seiner Familie eher von Sportlern als von Musikern umgeben war. So richtig angefangen hat es mit einer Stereoanlage, die sein Vater (mitsamt einer Sammlung von 20 Doppel-CDs mit klassischer Musik) in der Tschechoslowakei gekauft hat und die seine Mutter nicht haben wollte. Dann kam eins zum anderen.
Man hat das Gefühl, Axel Ranisch gegenüber zu sitzen und ihm beim Plaudern zuzuhören. Über seine Samstage in der Musik-Abteilung des Kulturkaufhauses in Berlin, über seine Entdeckung der Oper und seine Opernnachmittage mit Gerhard Dahne, wie er seine toten Komponistenfreunde auf dem Wiener Zentralfriedhof besucht hat, aber auch darüber, wie ihn die klassische Musik in allen Lebenslagen (auch den schwierigen) begleitet und aus dem einen oder anderen Tief herausgeholt hat.
Er stellt Stücke vor, die ihn zum Träumen, zum Weinen oder zum Lachen bringen und teilt mit den Leserinnen und Lesern die Bilder und Kurzfilme, die er zur Musik im Kopf hat. Kostprobe gefällig? Sein Kurzfilm zu „La Valse“ – Poème choréographique pour Orchestre von Maurice Ravel (ein Stück, das ihn zum Lachen bringt) beginnt folgendermaßen: „Graf Anzengruber ist frisch verarmt. Nach einem Achtel im Heurigen ist ihm nach Tanzen zumute. Aber irgendjemand hat vergessen, ihn dieses Jahr zum Opernball einzuladen. Durch die Hintertür neben der Herrentoilette betritt er den Ballsaal. … Er schwankt, verteilt ungeschickte Komplimente, tritt einer Dame auf die Schleppe und reißt einen Stehtisch um.“ (Seite 81)
Devid Striesow dagegen saß schon mit vier Jahren mit seinen Eltern in einer Beethoven-Sinfonie und hat mit Erfolg Geige (und noch weitere Musikinstrumente) gelernt. Auch er erzählt von seinen Erlebnissen mit der (klassischen) Musik, die auch bei seiner ersten Liebe die Finger im Spiel hat. Doch im ersten Teil überwiegen die Erinnerungen von Axel Ranisch. Und was die beiden berichten ist berührend, interessant und oft auch richtig witzig.
Ab Seite 131 unterhalten sich die beiden über bestimmte Musikstücke und deren Komponisten. Dabei wird ihre immense Fachkenntnis deutlich. Sie scheinen die Stücke regelrecht durchdrungen zu haben und die Stück durchdringen sie. Dabei bleiben ihre Analysen verständlich und bildhaft. Und vielleicht würde nicht jeder Musiker oder Musikwissenschaftler mit ihnen übereinstimmen. Axel Ranisch: „Vielleicht ist das auch alles Quatsch. Und jeder Musiker verurteilt mich für meine albernen Deutungen.“ Devid Striesow: „Ich mach das doch auch nicht anders. Wir sind keine Theoretiker. Wir erleben Musik immer emotional.“ Und genau so ist dieses wunderbare Buch: Ein emotionales Statement dafür, was klassische Musik für einen Menschen bedeuten kann.
Ich habe fast alle Stücke nachgehört, die ich nicht kannte und viele, die ich kannte in einem neuen Licht gesehen. Die eine oder andere Entdeckung war für mich auch drin, zum Beispiel „Re-Inventions“ auf J. S. Bachs Invention Nr. 8 von Elena Kats-Chernin. Ein Stück das wirklich gute Laune macht.
Wer Klassik mag und einen ganz neuen Blick darauf werfen will oder wer sich zum Genuss von klassischer Musik verführen lassen möchte, sollte dieses Buch auf jeden Fall zur Hand nehmen. Ich kann es nur wärmstens empfehlen.
Devid Striesow & Axel Ranisch: Klassik drastisch – Lippenbekenntnisse zweier Musik-Nerds.
Ullstein fünf, Juni 2020.
208 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.