Kann jemand eine Pflegekraft mit Herz und Seele werden, der bei seiner Einstellungsuntersuchung im Krankenhaus während der Blutabnahme in Ohnmacht fällt? Ja, davon bin ich überzeugt, denn genau das ist Christie Watson passiert und ihr Buch „Die Sprache der Menschlichkeit“ zeugt davon, dass sie dennoch eine Krankenschwester geworden ist, die ihren Beruf liebt.
Alles beginnt mit der Motivation. Und so zeigt Christie Watson den Leserinnen und Lesern im ersten Kapitel, wie es über einige Umwege dazu kam, dass sie sich entschieden hat, einen Pflegeberuf zu lernen. „Mitgefühl, Freundlichkeit, Einfühlungsvermögen: das, so sagt uns die Geschichte, macht eine gute Krankenschwester aus,“ schreibt sie. Doch die Situation in den Krankenhäusern macht es den Pflegekräften nicht leicht, diese Fähigkeiten einzusetzen. Zu wenig Personal, knappe Zeit, Überlastung und Überforderung sind fast schon die Regel, wie die aktuelle politische Debatte deutlich zeigt. Auch wenn das Gesundheitssystem in Großbritannien sich vom deutschen System unterscheidet, kann man Vieles übertragen, was Christie Watson in ihrem Buch eindrücklich beschreibt.
Wir folgen ihr durch verschiedene Stationen und zwanzig Berufsjahre als Krankenschwester, in der sie mehr gesehen hat, als die meisten von uns: Freude und Leid, Glück und Verzweiflung von der Geburt bis zum Tod. Sie erzählt uns Geschichten von fast unglaublichen Genesungen, zu denen das Engagement der Pflegenden einen großen Teil beitragen hat und von Fehlern die dazu führen können, dass ein Mensch stirbt. Die Verantwortung, die Pflegekräfte und Ärzte tragen ist manchmal erdrückend, doch wer sich dem Wohl der Patientinnen und Patienten verschrieben hat, erlebt auch immer wieder positive Gefühle, die mit nichts vergleichbar sind.
Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen: Supervision, Unterstützung, gute Aus- und Weiterbildung, gerechte Entlohnung, all dies kann dabei helfen, dass Pflegekräfte nicht schon nach ein paar Jahren aus dem Beruf ausscheiden. Denn es gibt definitiv Schattenseiten, die Christie Watson nicht verschweigt. Psychische und körperliche Probleme oder die Abhängigkeit von Tabletten oder anderen Drogen sind weit verbreitet, Vernachlässigung oder gar Misshandlungen von Patienten sind keine Seltenheit. Krankenpflege ist kein Zuckerschlecken, sondern oft harte und schmutzige Arbeit. Auch das vermittelt die Autorin so lebensnah, dass ich manchmal kräftig schlucken musste.
Doch wenn man die Kranken als Menschen sieht – wofür Christie Watson eindringlich plädiert – und sich bewusst macht, dass man selbst jederzeit in eine Lage kommen kann, in der man auf Hilfe angewiesen ist, dann geht das schnell vorüber und man ist nur noch dankbar, dass es Menschen gibt, die bereit sind, andere zu pflegen.
Ich habe viel gelernt in diesem Buch: über die Ursprünge der Pflege, über Philosophie und Ethik, über Physiologie und Anatomie, über Krankenhäuser und über das Personal, das alles am Laufen hält, vor allem aber über Menschlichkeit und die Würde des Lebens.
Christie Watson hat all dies sehr gut lesbar und berührend verpackt. Mit dem Schreiben hat sie ihre zweite Berufung gefunden. Die deutsche Übersetzung von Pociao und Roberto de Hollanda lässt nichts zu wünschen übrig.
Klare Empfehlung!
Christie Watson: Die Sprache der Menschlichkeit: Wie wir Kranke als Menschen wahrnehmen und nicht als Patienten.
Goldmann, Oktober 2018.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.