Déodat ist hässlich und zwar schon seit seiner Geburt. Selbst seine Eltern erschrecken, als sie ihn zum ersten Mal sehen. Doch seine Mutter Énide, die ihre Ballett-Ausbildung aufgeben musste, weil sie zu mager war, und sein Vater Honorat, Koch in der Tanzakademie, lieben ihn trotzdem von ganzem Herzen. Dabei hat Déodat, dieses ganz besondere Kind, auch seine Finger mit im Spiel, denn: „Der Säugling verfügte über jene höhere Form der Intelligenz, die man den Sinn für andere nennen könnte.“ Und diese Form der Intelligenz hilft ihm, „eine Umwelt zu besänftigen, die wenig geneigt war, den Schrecken der Natur mit Wohlwollen zu begegnen.“
Im Übrigen ist Déodat zurückhaltend, unkompliziert, freundlich und liebt das Alleinsein. Er zieht sich in sich zurück und betrachtet alles ganz genau. So entdeckt er Dinge, die ihn erstaunen und erfreuen und macht sich seine Gedanken dazu. In der Schule hat er es nicht einfach, aber mit einem ruhigen Gemüt übersteht er alle Unverschämtheiten der Mitschüler.
Als eines Tages beim Völkerball auf dem Schulhof Vogelkot auf seinem Kopf landet, öffnet sich für ihn eine neue Welt. Er ist überzeugt: Der Vogel hat ihn auserwählt. Ab diesem Zeitpunkt spielen Vögel eine ganz besondere Rolle für ihn. Sein Verhältnis zu Frauen ist speziell: Ab der Pubertät fliegen sie – trotz seines abstoßenden Äußeren – auf ihn, was er genießt, aber meistens nicht versteht. Bis er Trémière kennenlernt.
Trémière ist schön, fast zu schön, um wahr zu sein. Doch ihre Eltern haben keine Zeit für sie. Ihre Mutter befürchtet sogar, dass sie nicht viel im Kopf hat, weil sie kaum spricht und immer nur schaut. Deshalb wächst Trémière bei ihrer Großmutter Passerose auf, einer älteren, etwas schrulligen Dame, die in einem heruntergekommenen Haus lebt und ihr Geld als Handleserin und mit Séancen verdient. Großmutter und Enkelin vergöttern sich geradezu, sie sind sich selbst genug. Als Trémière in die Schule kommt, wird ihr Leben anstrengender: Ihre Schönheit weckt den Neid der anderen und sie wird getriezt, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Aber auch sie steckt die Anfeindungen ihrer Mitschülerinnen weg und geht ihren Weg. Von Männern wird sie meistens enttäuscht. Bis sie Déodat kennenlernt.
Schon bei den ersten Sätzen des Buches taucht der Leser und die Leserin ein in die wunderbare Welt der Amélie Nothomb. Märchenhaft, skurril, mit verschrobenen Einfällen und trotzdem liebevoll zeichnet sie die Charaktere als Individualisten, jeder und jede mit ihrem ganz eigenen Charme und Lebensentwurf, ihren Marotten und Ticks. Wie große Kinder gehen sie staunend durch die Welt und wir staunen mit. Dass das im Deutschen hervorragend funktioniert, ist sicher auch der Übersetzung von Brigitte Große zu verdanken. Ganz nebenbei beginnt man, über Hässlichkeit und Schönheit nachzudenken, über Intelligenz und Dummheit, über gesellschaftliche Normen und Vorurteile. Amélie Nothomb spielt mit Klischees und bürstet sie gegen den Strich. Natürlich ist Vieles überzogen, manchmal abstrus, aber das macht den außergewöhnlichen Schreibstil der Autorin aus, die für ein früheres Werk mit dem Grand Prix de l’Académie française ausgezeichnet wurde.
Als Zugabe gibt es im Anhang noch das Märchen „Riquet mit der Locke“ von Charles Perrault. Ähnlichkeiten mit Motiven des Romans sind sicher kein Zufall.
Mich hat „Happy End“ überzeugt und ich kann dieses höchst unterhaltsame Leseerlebnis jedem empfehlen, der Gefallen an besonderen Geschichten findet, die auf ganz eigene Art und Weise erzählt sind.
Amélie Nothomb: Happy End.
Diogenes, September 2018.
192 Seiten, gebundene Ausgabe, 20 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.