Silvesterspecial 2023

Im Laufe eines Jahres erscheinen unzählige Bücher von berühmten Autorinnen oder noch unbekannten Autoren. Darunter finden sich dann immer wieder ganz besonders berührende, unterhaltsame, fesselnde, interessante oder dramatische Bücher, die lesens- und empfehlenswert sind.

Aus den vielen Büchern, die die Rezensentinnen und Rezensenten der Leselust in den vergangenen zwölf Monaten gelesen und besprochen haben, sind es diese, die sie im Jahr 2023 besonders begeisterten:

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Ibram X. Kendi: Gebrandmarkt

„Die Geschichte der USA ist weiß.“ – Ein Satz, der im Laufe der Jahrhunderte tausendfach gedacht oder gesagt wurde. Und eine Lüge ist. Denn seit die USA existiert, leben dort People of Color, die das Land mit aufgebaut und geprägt haben und deren Lebensgeschichten zu den grausamsten der Weltgeschichte zählen. „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“, von Dr. Ibram X. Kendi geschrieben und von Joel Christian Gill als Graphic Novel illustriert, beginnt ganz am Anfang dieser Weltnation und arbeitet sich durch den Dreck ihrer Geschichte. Die comichaften Bilder im Buch sind in schwarzweiß gehalten und dekonstruieren anschaulich Mythen über die Sklaverei, Bildungseinrichtungen wie Yale oder Princeton (allesamt auf rassistischem Gedankengut erbaut) oder ehemalige US-Präsidenten. So werden Thomas Jefferson oder Abraham Lincoln, beide als weiße Helden der Sklavenbefreiung gefeiert, als Rassisten enttarnt. Jefferson, der selbst über einen Sklavenhausstand verfügte und Lincoln, der in der Befreiung weniger Sklaven eine Bereicherung für seine Armee sah, gelten noch heute unter den Amerikanern als Retter von PoC.

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Sabrina Imbler: So weit das Licht reicht

Der Roman „Soweit das Licht reicht. Die Kreaturen der Tiefsee und was sie mir über das Leben erzählen“ von Sabrina Imbler führt in die Tiefen unserer Ozeane, soweit das Licht eben reicht und weiter. Dort unten leben Wesen ohne Licht, ohne Sauerstoff, blühen auf und vergehen, ohne dass wir sie sehen. Sie haben sich so sehr an diese Welt angepasst, dass sie an lebensfeindlichen Orten geboren werden, sich vermehren und sterben können, sie haben Mechanismen und Körper entwickelt, die sich manch eine:r von uns des Öfteren wünschen würde.

Wie viele Menschen leben in absolutem Unverständnis ihrer Außenwelt bezüglich ihrer Gefühle füreinander, ihrer Interessen und Ausdrucksweisen oder ihrer Sexualität. Ich weiß nicht genau, warum die intimsten Wesenszüge der Menschen derart ans Tageslicht gezogen werden müssen, sobald die Personen nicht dem plakativen „Normal“ entsprechen. Wieso existiert eine solche Angst, Abneigung, Distanz gegenüber Queerness, gegenüber so vielschillernden Arten, das Leben zu bewältigen?

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Johannes Plagemann, Henrik Maihack: Wir sind nicht alle

Das Buch „Wir sind nicht alle. Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens“ hat sich für mich langsam gelesen. Aber nicht, weil es nicht absolut spannend und wichtig wäre, sondern weil es eben kein Roman ist und mit Themen umgeht, denen ich in meinem Alltag selten begegne. Es geht vor allem um Politik und Wirtschaft. Aber nicht einer von Deutschland ausgehenden Politik und Wirtschaft, sondern einer, die sich vor allem in den und aus dem Globalen Süden entwickelt.

Die Autoren Johannes Plagemann und Henrik Maihack, Politikwissenschaftler, die selbst lange Zeit in Ländern des Globalen Südens verbracht haben, schaffen es selbst für unerfahrene Lesende einen Bogen zu spannen, der erklärt, wieso der Westen für den Globalen Süden an Wert verliert und andere Interessen Einfluss auf Länder z.B. in Afrika oder Asien nehmen.

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Elif Batuman: Entweder / Oder

Der Roman der Bestsellerautorin Elif Batuman trägt den gleichen Titel wie das bekannteste Werk des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard – Eine Entscheidung, die sehr viel über das Buch aussagt, denn originell ist tatsächlich wenig an der Geschichte. Okay, das klingt vielleicht etwas hart, denn gut geschrieben ist der Roman über die junge Harvardstudentin Selin, die mit unerwiderter Liebe, feministischen Debatten und der Komplexität des Erwachsenwerdens zu kämpfen hat.

Auch ist sie als Hauptcharakter mir bis zum Schluss sympathisch gewesen, ihre komplizierte Gefühlswelt und ihre Vorliebe zur Interpretation der Welt durch Literatur. Wer von uns Leseratten kennt nicht das Gefühl, in einem Text Wahrheit zu finden und ihn auf die Realität anzuwenden?

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CJ Hauser: Die Kranichfrau

Dieses Buch hat mein Lesen nicht unbeschadet überstanden. Als ich es wieder ins Regal stellte, zierten seine Seiten etliche Eselsohren. Jaja, ich weiß, vielen von euch wird das gar nicht gefallen. Für mich aber ist es ein Zeichen dafür, dass das Buch in vielen Momenten sehr intensiv zu mir gesprochen hat. „Die Kranichfrau“ von CJ Hauser ist genial. Ich bin absolut begeistert – um das an dieser Stelle schon einmal vorweg zu nehmen.

Die Autorin schreibt so klug und tiefsinnig, dass ich beinahe neidisch bin. Sie verknüpft sehr geschickt ihre Beziehungen zu Partner:innen und zu sich selbst mit Ereignissen aus ihrem Leben, die zu Metaphern werden für etwas größeres. So fragen wir uns gemeinsam, wieso sich Tracy im Film „Nacht vor der Hochzeit“ für diesen oder jenen Mann entscheiden muss, der sie als diese oder jene Frau sieht und sie durch die Verbindung der Ehe verspricht, zu dieser oder jener Frau zu machen. Wieso muss sie ÜBERHAUPT einen der Männer wählen und wieso ist die Entscheidung für oder gegen einen Partner auch eine Entscheidung, die man über sich selbst trifft? „Du bist eine Statue!“, sagt der eine. „Du bist eine Königin!“, sagt der andere.

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Simone Atangana Bekono: Salomés Zorn

Wie die Faust aufs Auge passt der Romantitel „Salomés Zorn“ von Simone Atangana Bekono zu der dahinter verborgenen Geschichte. Ersetzen wir in diesem Bild den Begriff „Faust“ mit „Stock“, dann haben wir die Fliesen des Romans bereits verlegt. Denn die Schülerin Salomé findet sich im Jugend­ge­fäng­nis wieder, nachdem sie einem Mitschüler auf einem Feld irgendwo in den Niederlanden mit einem Ast ein Auge ausgestochen hat.

Doch von Reue keine Spur. Denn Salomé, so zornig sie auch ist und war, auf dem Feld irgendwo in den Niederlanden, hat die Auseinandersetzung nicht provoziert. Sie war das Ergebnis endloser Mikro-Attacken auf die Teenagerin mit der dunklen Haut und dem krausen Haar, die sich als Niederländerin identifiziert, aber auf den Straßen ihrer Heimatstadt doch noch Willkommen (in den Niederlanden!) geheißen wird. Dieses Buch zeigt, was viele Menschen nie erleben. Hass.

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Cecilia Joyce Röski: Poussi

Der Roman „Poussi“ von Cecilia Joyce Röski ist schon der zweite von mir rezensierte Roman, der ein Leben im Rotlichtviertel beleuchtet. Doch auch wenn das Thema dasselbe ist wie in „La Maison“von Emma Becker, erzählt Röski doch eine völlig andere Geschichte. Aus wie vielen Perspektiven lässt sich ein Leben betrachten? Von außen, von innen, in Wahrheit, in Selbstbetrug? Letzteres scheint in „Poussi“ der Fall zu sein.

Die Anfang 20-jährige Ibli lebt und arbeitet im „Palast“, einem Bordell, das ihr Vater, von allen nur Lackschuh genannt, gegründet hat und in dem schon ihre Mutter sich prostituierte. Ibli ist in dem Etablissement aufgewachsen und hat die Welt draußen schon lange nicht mehr betreten. Ihr ganzes Universum besteht aus ihrem kleinen Zimmer, in dem sie die „Poi‘s“ und „Adoinis‘se“ empfängt, schläft, isst, ihren Staubsaugroboter umsorgt und sich an ihre beste Freundin Zola kuschelt.

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Dmitry Glukhovsky: Geschichten aus der Heimat

Im Angesicht des einjährigen Krieges zwischen Russland und der Ukraine trifft „Geschichten aus der Heimat“ von Dmitry Glukhovsky direkt ins Schwarze. Ein russland­kritisches Buch, ein Autor, der sein Heimatland verlassen musste, um nicht in die Fänge der Regierung zu geraten, um weiterschreiben zu können, und dann ist es auch noch jener Autor, den wir seit seiner Metro-Trilogie kennen, lieben und verehren.

Dass dieses Buch in Kürze Popularität erlangte, ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich. Bereits das Zitat des Autors vorne auf dem Cover „Russland muss die Möglichkeit haben, wieder ein freies Land zu sein.“ zieht eine Leserschaft an, die sich in dem Leid jenes Landes laben will, das vor genau einem Jahr ein anderes angriff. Verständlich. Und doch etwas populistisch. Nun, ich denke, diese Art des Kapitalismus ist nichts Besonderes und dem Werk nicht zur Last zu legen. Und doch frage ich mich, was steckt hinter dem Buchdeckel? Sind es nur die Umstände, die hier zum lesen und jubilieren anregen oder zeigt Glukhovsky ein weiteres Mal, dass er als einer der hellsten Sterne des russischen Literaturhimmels leuchtet?

Das Buch aufgeschlagen finden wir uns in einer russischen Geschichtensammlung wieder, fast einem Märchenbuch gleich. Nur dass diese Märchen nichts mit Kindlichkeit zu tun haben, sondern zum Schauern anregen. In Murakami-Art zählt Glukhovsky hier auf das Unver­ständliche, Kuriose, lässt Aliens mitten in Moskau landen und die Regierung mit dem Teufel zusammenarbeiten, lässt hier und da jemanden sterben und Maschinen das Richterurteil sprechen. Aus den losen Fäden aller Geschichten webt er Russlands Leichentuch und die Grabesinschrift könnte lauten: Россия (Russland), geliebte Mutter: Gefallen für Korruption und Machtmissbrauch, erstickt an Habgier und Gleichgültigkeit, ertrunken in Wodka und Propaganda, Herzversagen durch die Perspektivlosigkeit unerreichbarer Träume und nicht zuletzt erschlagen durch sibirische Einsamkeit.

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Warsan Shire: Haus Feuer Körper

Warsan Shire: Bless your ugly daughter
Gesegnet sei deine hässliche Tochter
[…]
behind each ear, her body is a body littered/ with ugly things/ but God,/ doesn’t she wear/ the world well.
[…]
hinter jedem Ohr/ verbirgt sich ein Geflüchtetenlager, ihr Körper ist übersät/ mit hässlichen Dingen,/ doch bei Gott,/ steht ihr die Welt nicht gut?

HAUS FEUER KÖRPER, im Original „Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head“ ist der erste große Gedichtband der somalisch-britischen Autorin Warsan Shire. Die Lyrikerin schreibt in knapp fünfzig Gedichten über Krieg, Flucht, Frau und Tod. Manchmal über all das zugleich. Und wollte ich es kurzhalten, dann würde ich einfach das vorangegangene Zitat wählen und sagen: Genau so. Genau so.

Nur würde ich euch damit ziemlich frustriert wieder aus dieser Rezension entlassen. Was also fasziniert mich an speziell diesen Zeilen? Sie sind wie der Gedichtband selbst: Schmerzhaft und hässlich zum Teil Niemand setzt seine Kinder in ein Boot, es sei denn das Wasser ist sicherer als das Land, aber wunderschön zugleich Ich werde dieses ganze Leben neu schreiben und dieses Mal wird es so viel Liebe geben,/ du kannst gar nichts anderes mehr sehen. Doch was genau ist hässlich und wie gehen wir, die wir diesen Text lesen, weiß und deshalb privilegiert, damit um? Weiterlesen

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