Yvonne Adhiambo Owuor: Das Meer der Libellen

Eindringlich und einfühlsam erzählt Yvonne Adhiambo Owuor in „Das Meer der Libellen“ die Geschichte einer jungen Kenianerin, die zwischen Tradition und Globalisierung ihren Platz in der Welt sucht. Ein Stück moderne afrikanische Literatur, das aus westlicher Sicht einen spannenden Perspektivwechsel bedeutet.

Ayaana wächst auf der kleinen Insel Pate vor der Küste Kenias auf. Als uneheliches Kind lebt sie mit ihrer Mutter verstoßen vom Rest der Familie am Rande der Gesellschaft. Lange Zeit ist der Ozean ihr einziger Freund, dem sie sich bei nächtlichen Schwimmausflügen anvertraut, bis sie schließlich in dem alternden Matrosen Muhidin einen Verbündeten findet. Muhidin unterrichtet und fördert das kleine Mädchen und legt damit die Grundsteine für ihren weiteren Lebensweg.

Auf Pate scheint sich die Welt noch nach einem ganz eigenen Rhythmus zu drehen. Zwischen dem Duft nach wilden Rosen und Nachtjasmin richtet sich das Leben nach den Gezeiten des Ozeans, der immer wieder Besucher und Anwohner zurück auf die Insel spült oder aber spurlos verschwinden lässt. Während Ayaana aufwächst zeigt sich jedoch, dass Pate nicht so abgeschieden ist wie gedacht. Religiöser Fanatismus, Machtgier und schließlich China, das seine Fühler nach Afrika ausstreckt, machen vor der kleinen Insel nicht Halt. Als junge Frau wird auch Ayaana hinaus in diese Welt getrieben, die Afrika als einen vielversprechenden Rohdiamanten zu betrachten scheint, an dem jeder seine ganz eigenen Interessen hat.

Yvonne Adhiambo Owuor erzeugt durch ihre poetische und sinnliche Erzählweise eine geheimnisvolle und magische Atmosphäre: Die Geschichte ist geprägt durch den Geruch nach Rosen und Gewürznelken, den Gesang der Dschinn bei Nacht, die geheimnisvolle Welt des Ozeans und die unvorhersehbaren Wendungen des Schicksals. Immer wieder gewähren Kiswahili-Sprichworte Einblicke in die ganz eigene Weltsicht und Weisheit der Bewohner von Pate.

Alle Protagonisten in „Das Meer der Libellen“ sind auf ihre Weise Außenseiter auf der Suche nach Verständnis, Akzeptanz, Vertrauen und Liebe. Geschickt werden diese persönlichen Schicksale mit dem globalen Zeitgeschehen verknüpft. Kulturen und Ansichten treffen aufeinander, religiöse und politische Konflikte werden aufgegriffen. Dabei wird immer wieder deutlich, dass Afrika, samt seiner Einwohner, zum Spielball der Reichen und Mächtigen wird. Die Geschichte führt von Kenia nach China und in die Türkei, wobei der Ozean als verbindendes Element Ayaana auf ihrer Reise immer begleitet. Durch diese verschiedenen Abschnitte birgt das Buch trotz 600 Seiten viel Abwechslung und kaum Längen.

Ein eindrucksvolles Buch, das Lust macht auf mehr afrikanische Literatur!

Yvonne Adhiambo Owuor: Das Meer der Libellen.
DuMont Buchverlag, September 2020.
608 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Johanna Wunsch.

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Ein Kommentar zu “Yvonne Adhiambo Owuor: Das Meer der Libellen

  1. Hierzulande findet man meiner Meinung nach noch immer viel zu wenig Bücher aus nicht-westlichen Ländern. Dabei können die Autoren dort mindestens genauso spannende Geschichten erzählen, wie es Autoren in Europa oder den USA können. Das Buch kommt auf jeden Fall definitiv auf meine Leseliste für 2021 und ich hoffe, das Literatur aus Afrika und Co noch mehr Fuß in deutschen Buchläden fassen kann.

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