Wiebke Lorenz: Einer wird sterben

In Stellas Leben stimmt so einiges nicht. Aus Liebe hat sie für Paul eine Schuld auf sich geladen, damit seine Karriere als Pilot keinen Schaden nimmt. Seit sechs Jahren schweigen sie über wichtige Einzelheiten eines Unfalls mit Todesfolge. Und seit sechs Jahren kann sie ihren Beruf als Grundschullehrerin nicht mehr ausüben. Denn die Narben in ihrem Gesicht haben auch auf ihrer Seele Spuren hinterlassen.

Wie schon so oft fliegt Paul wieder für einige Tage durch die Welt. Als in ihrer Straße, einer ruhigen Sackgasse, einige Ereignisse auch die Nachbarn aus dem Konzept bringen, fühlt sich Stella erst recht alleingelassen. Der parkende Mercedes in der Nähe ihres Hauses erinnert sie an ihren Unfallwagen und macht sie nervös. Das Paar bleibt in dem schwarzen Wagen mehrere Tage sitzen und erklärt auf ihre Anfrage geheimnisvoll, sie würden auf etwas warten. Stellas Angst wächst. Weil die beiden auch noch die gleiche Kleidung tragen wie einst Paul und sie am Tag des Unfalls, bekommt ihre Fantasie reichlich Nahrung.

Die Journalistin und Autorin Wiebke Lorenz veröffentlichte unter ihrem Namen bereits einige erfolgreiche Psychothriller und unter einem Pseudonym romantische Komödien. In ihrem neuen Buch steht erneut eine Frau im Fokus, die von Schicksalsschlägen gezeichnet ist. Innerlich wie auch äußerlich. Kann sie ihren Wahrnehmungen trauen, wenn andere sie nicht ernst nehmen oder eine schlechte Meinung von ihr haben? Weil sie der Polizei gegenüber behauptet, die Fahrerin des Unfallwagens gewesen zu sein, reden die Nachbarn schlecht über sie. Sie sei eine Mörderin, um sich in ein gemachtes Nest zu setzen. Während sie an der Einsamkeit und Kindheitserinnerungen leidet, sieht sie in der stillen Anwesenheit des seltsamen Paares eine wachsende Bedrohung. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch die Nachbarn einen Zusammenhang zwischen dem Paar und ihr erkennen. Aus diesem Spiel mit der Zeit baut sich eine konstante Spannung auf, die mit Stellas wachsender Angst einhergeht.

Die Autorin zeigt, wie leicht auf Außenwirkung orientierte Menschen in Zugzwang geraten. Jeder spielt jedem etwas vor, lügt oder versteckt sich. Auf diesem idealen Nährboden kann ein Rachefeldzug nur allzuleicht gelingen. Auf der anderen Seite steht eine verunsicherte Frau, die über den Schatten ihrer Vergangenheit springen muss.

Die Autorin wählt für ihren kurzweiligen Psychothriller den sicheren Weg, in dem sie einen auserzählten Schreibstil wählt. Der Leser wird an die Hand genommen und durch einen dunklen Tunnel geführt. Die Sätze schenken eine eindeutige Orientierung. Alles ist, wie es ist, bis der Leser kurz vor der finalen Klärung des Rätsels losgelassen wird. Einige lose Fäden wollen nun mehr so richtig zueinanderfinden. Die Umstände des Unfalls und Stellas Schicksal werfen Fragen auf, als sollte das Rätselhafte über den Rahmen der Geschichte weiterranken.

Wiebke Lorenz: Einer wird sterben.
Fischer, Februar 2019.
352 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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