Viveca Sten: Mörderisches Ufer

Das konnten die Vorfahren der schwedischen Autorin nicht ahnen, wie wichtig das 1917 erworbene Haus auf Sandhamn für die achtundfünfzigjährige Juristin wird. Die in Stockholm geborene Viveca Sten verbringt hier seit ihrer Kindheit jeden Sommer. Darum ist es kein Zufall, dass auch ihr neuer Kriminalroman „Mörderisches Ufer“ auf der Schäre vor Stockholm spielt. Es ist der achte Fall, den Kommissar Thomas Andreasson und seine Jugendfreundin Nora Linde aufklären müssen. Für einen Schwedenfan und Krimi-Reihen-Leser wie ich es bin, ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Zu neuen mörderischen Ufern.

In Schweden sind die Sommer kurz, darum verbringen die Menschen diese Jahreszeit so oft, wie es geht, unter freiem Himmel. Die Kulisse für „Mörderische Ufer“ ist darum typisch. Es handelt sich um Seglercamp für Jugendliche auf der kleinen Nachbarinsel von Sandhamn, die Lökholmen heißt. Hier verschwindet plötzlich ein Kind. Mit der unbeschwerten Sommeridylle ist es plötzlich vorbei.

Überhaupt bekommt das scheinbar unbefangene Lagerleben Risse und der Blick hinter die Kulissen zeigt eine andere Welt, in der durchaus auch mal gemobbt wird.

Wo ist der elfjährige Benjamin geblieben? Ist er nur einfach ausgerissen?  oder ist der schüchterne Junge in die Hände von Verbrechern geraten? Wie immer, wenn es um Kinder in Gefahr geht, gerät die Polizei schnell unter Ermittlungsdruck. Den bekommt Thomas Andreasson zu spüren. Unter Druck steht auch Nora Lind. Sie ist in einen Prozess involviert, von dessen Ausgang einiges abhängt. Auch für sie persönlich.

Viveca Sten gelingt es, einen fesselnden Spannungsbogen aufzubauen, der es dem Leser nicht leichtmacht, die Lektüre aus der Hand zu legen. Dabei spürt man, dass die Autorin ihre Charaktere gut recherchiert hat und gekonnt in schlüssige Handlungsmuster der beteiligten Akteure umgesetzt hat. Wohltuend sind die Landschaftsbeschreibungen (z.B. der Blick über die Meeresbucht), die dem Leser kurze Entspannungsphasen verschaffen.

Meiner Meinung nach hat er zwischendurch auch Entspannung verdient, da Verbrechen, in denen auch Kinder zum Opfer werden, den Leser leicht zwischen die Grenzlinien von Realität und Fiktion geraten lassen. Aber auch Thomas Andreasson macht dies zu schaffen, da er immer wieder an seine eigene Tochter erinnert wird. Die Ermittlungen führen die Polizisten in den Bereich von Wirtschaftskriminalität, in deren Kontext Menschen gefügig gemacht werden und über Leichen gehen. Aber auch pädophile Neigungen können ein Motiv sein, ein Kind zu entführen. Von den Ermittlern wird hier eine professionelle Distanz abverlangt, die ihnen nicht immer leichtfällt, zumal in ihrem Privatleben auch nicht alles befriedigend läuft.

Was Thomas und Pernilla, Nora und Jonas widerfährt, ist so richtig aus dem Leben gegriffen, und schon bald meint man sie zu kennen wie gute Freunde. Nora hat sich entschieden, Jonas Heiratsantrag anzunehmen. Schon bald spürt sie jedoch, dass sie von ihrer Vergangenheit mit Henrik eingeholt wird. Und auch Thomas und Pernilla haben zu kämpfen. Die Polizei wird wieder mal umstrukturiert. Für Thomas werden die Wege zur Dienststelle wohl weiter. Bringt beruflicher Stress die kleine Familie an die Grenze ihrer Beziehungsfähigkeit? Ich bin sehr gespannt, wie es mit ihnen wohl weitergeht.

Was mir an Viveca Stens Sandhamn-Reihe gut gefällt, ist die gelungene Mischung aus Spannung und Unterhaltung.  Diesem Anspruch genügt ihr neues Buch in besonderer Weise. Die gewohnt detaillierte Gliederung des Stoffs in über 140 Kapitel hilft dem Leser, den verschiedenen Handlungssträngen folgen zu können.

Es ist eine gute Tradition schwedischer Kriminalromane, auch gesellschaftskritische Töne anklingen zu lassen. Viveca Sten folgt dieser Linie indem sie Mobbing unter Kindern thematisiert. Sie tut dies nicht ohne kritisch anzumerken, dass Gewalt unter und an Kindern ein Reflex auf allgemeingesellschaftliche Verwerfungen sind, denen dringend Werte wie Liebe, Achtung und Toleranz entgegengestellt werden müssen. Auch darum ist dieses Buch lesenswert!

Viveca Sten: Mörderisches Ufer.
Kiepenheuer & Witsch, April 2017.
464 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Martin Simon.

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