Virginia Woolf: Mrs Dalloway (1925)

London im Juni 1923. Mrs. Clarissa Dalloway, die Gattin des Parlamentsabgeordneten Richard Dalloway, bereitet sich und das Haus auf einen ihrer beliebten Gesellschaftsabende vor. Einkäufe müssen getätigt und dem Hauspersonal letzte Anweisungen erteilt werden. Während sie am Nachmittag dann noch ihr Kleid ausbessert, erscheint überraschend Besuch: Peter Walsh, ihre erste Liebe, dem sie später allerdings den deutlich solideren Richard Dalloway vorgezogen hatte, ist aus Indien zurückgekehrt und wartet ihr mit seinem Besuch auf.

Gleichzeitig streift der Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith, begleitet von seiner italienischen Ehefrau Lucrezia, durch die Stadt, auf der Suche nach Hilfe gegen seine Ängste und gegen das Gefühl der Empfindungslosigkeit.

Die äußere Handlung ist auf wenige (scheinbar) alltägliche Ereignisse an ebendiesem Junitag 1923 reduziert, das Voranschreiten der Zeit wird durch das Leuten von Big Ben verdeutlicht, dessen viertelstündlicher Glockenschlag zugleich dem Roman, der im Übrigen ohne Kapitel auskommt,  Struktur verleiht. Der Fokus indes liegt auf den Eindrücken und Gedanken der Protagonisten. Dabei wechselt ständig die Perspektive, wie bei einem Staffellauf wandert der Stab zwischen den Innensichten der Figuren, ungeachtet ihrer Stellung oder ihrer Beziehung zueinander geht der Strom von Bewusstseinsinhalten nahtlos von einem zum nächsten. Ich erfahre, wie wer wen warum (nicht) mag bzw. welches Bild die einen von den anderen haben. Indem die Protagonisten ihre Wahrnehmungen reflektieren, erhalte ich als Leserin zudem ein detailgetreues Bild von London, begleite sie durch Straßen und über Plätze, erhasche Geräusche und Gespräche, tauche ein in das London der 20er Jahre.

Schnell wird deutlich, dass der beschriebene Tag wie ein Spiegel wirkt, in dem sich das Licht eines längst vergangene Sommers bricht,  als vieles noch offen und gleichzeitig unmöglich war. Unmöglich wie Clarissas Liebe zu einer anderen Frau oder die Ehe mit einem Tunichtgut wie Peter Walsh. Immer wieder wandern die Gedanken der Beteiligten zu jenen Tagen in Bourton, einem beliebten Ferienort, wo eine Gruppe junger Leute aus der Oberschicht unbeschwerte Sommer verlebte und schließlich folgenschwere Entscheidungen traf.

Die Erinnerungen von Septimus Warren Smith konzentrieren sich auf seinen Kameraden Ewans, welcher im Krieg fiel und Septimus mit tauber Empfindungslosigkeit in einem leeren Leben zurück ließ.

Der Roman endet mit dem Ende der Party im Hause Dalloway, nachdem sich die Lebenslinien von. Larissa und von Septimus auf tragische Weise kreuzen, als sich wenig später die Gäste nach und nach verabschieden und mich mit einem Gefühl von Hilflosigkeit zurücklassen: Wohin ich blicke, ist Unzufriedenheit, kaum einer ist mit seinem Leben glücklich,  das immerwährende Mantra, alles richtig gemacht zu haben, klingt wie Hohn. Das Unglück liegt in persönlichen Entscheidungen ebenso wie in starren gesellschaftlichen Konventionen begründet,  in Gier, Selbstsucht, Ignoranz, falschen Rücksichten und alle treibt die Angst vor sich verändernden Verhältnissen um.

Ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich auf den Text einzulassen,  in die unstetig sich wandelnden Bewusstseinsströme zu finden. Da „Mrs. Dalloway“ das erste Buch ist, welches ich von Virginia Woolf gelesen habe, kann ich auch nicht einschätzen, ob es tatsächlich ihr bester Roman ist. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass es sich um einen meisterlich komponierten Text handelt. Meine anfängliche Mühe wurde belohnt mit einem reich bebilderten Ausblick auf eine Welt im Umbruch (was man ja immer erst hinterher weiß) und mit einer Fülle an sprachlichen Finessen.

Und obwohl das Buch vor fast 100 Jahren veröffentlicht wurde, ist es noch immer aktuell.

Virginia Woolf: Mrs Dalloway (1925).
Aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz.
Manesse, April 2022.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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