Veronica Roth: Die Bestimmung

stimmBeatrice muss an ihrem sechzehnten Geburtstag wählen, welcher von fünf Fraktionen sie für den Rest ihres Lebens angehören will. Ihre Familie lebt bei den Altruan, den Selbstlosen, die auf Luxus und Äußerlichkeiten verzichten und ein ärmliches und genügsames Leben fristen. Alles ist dem Dienst am Nächsten untergeordnet, Lust und Vergnügen gelten als Sünde. Die Candor geben sich freimütig und sind stolz darauf, immer die Wahrheit auszusprechen, egal wie unangenehm sie für andere ist. Die Fraktion der Ken sieht im Erwerb von Wissen das höchste Gut und ordnet diesem Streben alles unter. Die Amite, die Friedfertigen, versuchen ein Leben ohne Aggressionen gegen ihre Nächsten zu führen. Die Ferox, die furchtlos ihre Ängste besiegt haben, beschützen die Gesellschaft vor den geächteten Fraktionslosen und verteidigen die Machtstellung der fünf Fraktionen.

Doch der Eignungstest, dem Beatrice sich kurz vor der Initiationsfeier zu unterziehen hat, zeigt kein eindeutiges Ergebnis. Sie ist eine Unbestimmte, da sie mehrere widerstreitende Begabungen in sich trägt. Damit gilt sie als Gefahr für die Gemeinschaft und muss ihre fehlende Bestimmung fortan verbergen. Beatrice entschließt sich, die Altruan zu verlassen und sich den Ferox anzuschließen.

Als körperlich kleinste und schwächste der Anwärter hat es Tris, wie sich Beatrice nun nennt, bei den Ferox schwer. Ihre fehlende Körperkraft gleicht sie mit außergewöhnlicher Schnelligkeit und besonderer Brutalität aus. Unterstützung erfährt Tris von dem Ferox Four, ein Unbestimmter wie sie, der in seiner Fraktion wegen seiner Furchtlosigkeit großes Ansehen genießt. Der Ausbilder Erik dagegen schikaniert sie, wo er nur kann und bringt ihr Leben damit mehrmals in Gefahr. Und nur die zehn besten Anwärter werden in die Fraktion der Ferox aufgenommen. Die restlichen sind dazu verdammt, ein erbärmliches Leben als verfolgte Fraktionslose zu führen.

Veronica Roth studierte an der Northwestern University in Chicago Creative Writing. Ihr Debut “Die Bestimmung” schrieb sie mit zwanzig Jahren während ihres Studiums. Der Roman stürmte auf Anhieb die Bestsellerlisten in den USA.

Die Grundidee einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder nach Eignungstests in bestimmte Kasten einteilt, ist durchaus originell und die Handlung in Veronica Roths Roman entwickelt sich spannend mit überraschenden Wendungen. Doch bei mir stellte sich bei der Lektüre ein zwiespältiges Gefühl ein.

Zum einen bleibt die Heldin reichlich blass. Da Tris eine Unbestimmte ist, hat sie keine herausragenden Charaktermerkmale. Sie ist eine Frau ohne Eigenschaften. Das macht es dem Leser schwer, sich mit ihr zu identifizieren. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wieso sie bei ihrer Durchschnittlichkeit ihren Mitbewerbern in den Simulationstests so haushoch überlegen sein kann. Die anderen Figuren bleiben ebenso in Stereotypen haften und bieten kein Identifikationspotential.

Die Botschaft des Romans, dass allein mit Gewalt eine Gesellschaft verändert werden kann, hinterlässt einen schalen Geschmack und ist gerade in einem Jugendroman sehr fragwürdig. Tris Wandlung von einer Altruan, die gegen die aufgezwungene Selbstlosigkeit und Genügsamkeit rebelliert, in eine gewaltbereite Ferox, die die Gesellschaft von dem einengenden Kastensystem befreien will, versucht die Autorin als positive Entwicklung darzustellen. Doch wie soll eine Gesellschaft aussehen, in der die brutalen Ferox an der Macht sind?

Auch trüben viele logische Ungereimtheiten den Lesegenuss. Warum verteidigen die Altruan derart vehement ihre Vormachtstellung im gemeinsamen Rat? Als Fraktion der Selbstlosen müsste es für sie eine Selbstverständlichkeit sein, Macht zu teilen. Wie ist diese Gesellschaftsordnung, die Menschen in Stereotype einordnet, überhaupt zustande gekommen? Roth erklärt dem Leser nicht viel über diese unbekannte Welt. Dass dem Leser so wenig Hintergrundwissen geliefert wird, mag der Jugend der Autorin geschuldet sein, die komplexe Weltvorstellungen offensichtlich noch nicht entwickeln kann. Auch ist befremdlich, dass die Ken das Zentrum ihrer Macht nicht besser gegen Angriffe von außen schützen. Tris kann mit wenigen Getreuen die Computerzentrale stürmen und die Simulation ohne Probleme stoppen.

Fazit: Gewaltlastiges Jugendbuch mit wenig überzeugender Heldin und logischen Brüchen in der Handlung. An sein Vorbild „Die Tribute von Panem“ reicht der Roman von Veronica Roth nicht heran.

Veronica Roth: Die Bestimmung.
cbt, März 2012.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Martina Sprenger.

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