V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie LaRue

Adeline wird im ausgehenden 17.Jahrhundert in einem kleinen Dorf nach Le Mans in Frankreich geboren. Ihr Vater, der aus Holz Spielsachen und Kunstwerke schnitzt, unterstützt sie in ihrem zeichnerischen Talent, ja nimmt das naseweise Mädchen schon in jungen Jahren mit auf den Markt der nahen Stadt.

Dass sie bei einer alten Dorfbewohnerin in die Geheimnisse der alten Götter eingeweiht wird, erweist sich als janusköpfiger Segen. Sie, die immer alle Freier um ihre Hand mit Hilfe der alten Götter abgewiesen hat, soll nun einen jungen Witwer heiraten – obwohl sie sich ihren Liebhaber doch schon lange selbst mit Kohlestift und Imagination geschaffen hat. Sie will niemandem gehören – nicht ihren Eltern, nicht einem Ehemann, sie will frei sein. Am Tag ihrer Hochzeit begegnet sie ihm – dem Schatten, dem Teufel, der ihrer Imagination gleicht und ihr einen Handel vorschlägt – Zeit ohne Begrenzung um zu leben, Freiheit ohne Regeln, ungebunden sein, niemandem gehören. Der Preis – ihre Seele, wenn sie ihr Leben nicht länger will.

So zieht sie durch die Jahrhunderte und merkt bald, dass sie einen weiteren Preis zu berappen hat. Niemand erinnert sich an sie, ihren Namen kann sie weder aussprechen noch niederschreiben – aber sie kann stehlen, schließlich vergisst sie ein Jeder gleich wieder. Allerdings bleibt nichts wirklich bei ihr – die Zeit nimmt ihr ihren Besitz mit Ausnahme des Holzrings, der Sinnbild ihrer Übereinkunft ist. Der Schatten hat ihr die Freiheit vom Tod gewährt – doch nicht vom Leiden. Doch dann, wir schreiben den März des Jahre 2014 im New Yorker Antiquariat „The Lost Word“ lernt sie Henry kennen – einen jungen Mann, der nicht nur ihren Diebstahl einer zerlesenen Taschenbuchausgabe der Odyssee bemerkt, sondern sie selbst im Gedächtnis behält …

Fischer TOR bemüht sich erfolgreich darum, dem Publikum andere Bücher zu offerieren. Während bei den Großverlagen sonst fast austauschbare Programme vorherrschen, auch wenn sich in letzter Zeit ein gewisser Wagemut zu neuen Themen und Schwerpunkten zeigt, wollte und will man bei TOR besondere Bücher anbieten.

V. E. Schwabs Roman um Addie LaRue ist ein anderes, ein besonderes Buch.

Es ist die zutiefst melancholische Geschichte einer Frau, die durch die Jahrhunderte hindurch einsam ist, die versucht trotz ihres Fluchs – und nichts Anderes ist ihr Wunsch lang zu leben – das Beste aus ihrem selbstbestimmten Leben zu machen. Durch ihre Augen erleben wir ihre Begegnung mit der Kunst der Jahrhunderte mit, begleiten sie durch vom Krieg, Not und Seuchen heimgesuchte Länder und bewundern ihren Starrsinn, wenn sie dem Schatten immer wieder verweigert, was diesem letztlich zufallen wird – ihre Seele.

Dass dabei aktuelle Themen und Entwicklungen, etwa die vorurteilsfreie Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen inkludiert wird, darf angemerkt werden.

Allerdings führt die sehr ruhige Erzählweise der Autorin dazu, dass wir Leser, die wir es gewohnt sind von einem dramatischen Höhepunkt zum nächsten zu eilen, ein wenig Schwierigkeiten haben, uns auf die Erzählung einzulassen. Lange bleiben uns die Figuren fremd, irren wir ein wenig halt- und orientierungslos durch die Handlung. Was will uns die Autorin mit ihrem Roman sagen, wie uns fesseln? Das Schicksal einer jungen Frau, die ein Jeder, dem sie begegnet vergisst ist sicherlich anrührend, aber nicht wirklich spannend. Und auch die Begegnung mit Henry bringt hier wenig Besserung.

So bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Auf der einen Seite eine wirklich tolle Idee aus dem man viel hätte machen können, auf der anderen Seite verschenktes Potential, eine Handlung ohne echte Höhepunkte, ein Plot der gemächlich dahin mäandert ohne wirklich zu fesseln.

V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie LaRue.
Aus dem Englischen übersetzt von Petra Huber & Sara Eiffel.
Fischer TOR, Mai 2021.
592 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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Ein Kommentar zu “V.E. Schwab: Das unsichtbare Leben der Addie LaRue

  1. Kompliment. Wie fast immer auf SchreiblustLeselust eine sehr treffende Buchbesprechung (Dank an Fantasy-Altfuchs Carsten).
    Was die Spannung betrifft ging es mir vergleichbar (auch wenn ich durchaus genauso gerne Bücher lese, die nicht in typischer Fantasy-Action-Manier vorantreiben), aber unter zwei anderen Gesichtspunkten – die ich ergänzen möchte – war die Lektüre für mich durchaus sehr interessant.
    1. Mephisto-Motiv:
    Mit Luc, Gott oder Teufel oder beides, greift die Autorin das alte Mehphistopheles-Motiv auf (Marlowe, Goethe, Mann und v.a.) und variiert es neu und m.W. relativ einmalig in der traditionellen Fantasy. Der Teufel selbst zeigt sich als liebesbedürftig, menschelt mehr, als man es erwarten würde, und bietet Angriffsflächen, die sich dafür nutzen lassen , ihm ein Schnippchen zu schlagen. Allerdings wiederholen sich die Mephisto-Szenen unnötig oft, so dass ich irgendwann fast in den Winterschlaf des Murmeltiers (das ewig grüßen lässt ;-)) verfallen wäre. Aber immerhin.
    2. Kunstbegriff von Fantasy.
    In der vielbeachteten Rede von V.E. Schwab aus 2018 (auf Tor-Online zu finden) lässt sich die Autorin über die Möglichkeiten von Fantasy aus und schimpft über das „Ewiggleiche“. Vollmundig preist sie an, dass „gute Fantasy“ es schafft, die eigene Realität im „Spiegel“ der anderen Welt zu betrachten und damit neue Möglichkeiten zu eröffnen. Das war mir sehr sympathisch (wenn auch vielleicht etwas arrogant) und ich wollte unbedingt wissen, ob ihr darauf folgender Roman – Das unsichtbare Leben der Addie LaRue – selbst diesem Kunstbegriff von Fantasy gerecht wird. Hat der Roman meine Sicht auf die Wirklichkeit verändert? – Ein kleines bisschen vielleicht. War der Anspruch zu hoch? Ihrer oder meiner? Zumindest hat mich dieser Aspekt sehr umgetrieben und das war die Lektüre allemal wert.
    Viele Grüße von David (mehr auf meinem Blog)

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