Ute Mank: Wildtriebe

Lisbeth, Marlies, Joanna. Drei Frauen, drei Generationen, drei Schicksale. Schwiegermutter, Schwiegertochter/Mutter und Tochter; drei Leben verknüpft mit dem Bethches-Hof in Hessen.

Weil Lisbeths Brüder im II. Weltkrieg gefallen sind, erbt sie das Anwesen. Ihre Mutter kann den Tod der Söhne nicht überwinden und versinkt in Depressionen. Darum muss Lisbeth in ganz jungen Jahren das Kommando über die Mägde übernehmen und den großen Haushalt führen. Sie lebt gewissenhaft die althergebrachten bäuerlichen Traditionen, ist fest eingewoben in die Dorfgemeinschaft und trägt auch im Alltag aus Überzeugung die hessische Tracht. Als ihr einziger Sohn Konrad seinen Eltern Marlies vorstellt, ist der Konflikt vorprogrammiert. Marlies, im Minirock, mit lackierten Fingernägeln und riesigen Ohrringen, entspricht ganz und gar nicht Lisbeths Vorstellungen von der idealen Schwiegertochter. Wie soll aus der Verkäuferin und Modepuppe eine Bäuerin werden? Nach Konrad und Marlies´ Hochzeit gibt Lisbeth das Szepter dann auch nicht aus der Hand. Nichts kann Marlies der Schwiegermutter recht machen. Vom Putzen der Fenster bis zum Dekorieren des Christbaumes – nichts macht sie richtig. Mit ihrem Mann Konrad, dem Schwiegervater Karl, Lisbeth und dem alten Knecht Albert lebt sie in einem Haushalt. Eine eigene Küche gibt es für sie nicht. Wo käme man denn da hin? Ihre Aussteuer bleibt in Kisten und Schachteln verpackt. Sie macht den Jagdschein. Eine Ungeheuerlichkeit im Dorf. Den unerfüllbaren Erwartungen an sie entflieht sie in den Wald und bald wieder zurück in ihren Beruf. Weil die Pille einmal nicht wirkt, bekommt sie Joanna. Zum Missfallen von Lisbeth bleibt diese ein Einzelkind und Marlies arbeitet weiterhin als Verkäuferin in einem Modegeschäft, versucht aber auch am Hof nach Kräften zu helfen.

Die enormen Umwälzungen in der europäischen Landwirtschaft machen auch vor dem Bethches-Hof nicht Halt. Erst rentiert sich die Schweinhaltung nicht mehr und Konrad intensiviert die Milchproduktion, dann kann man auch davon nicht mehr leben. Die Kühe müssen vom Hof, ein Teil der Felder wird verpachtet, den Rest bewirtschaftet Konrad nebenher. Ein Umstand, der für Lisbeth schwer zu verkraften ist. Letztendlich arbeitet er in einem Stahlwerk, Marlies ohnehin als Verkäuferin und Joanna geht für ein Jahr nach Afrika.

Wird sie zurückkommen? Lisbeth, die eine innige Beziehung mit ihrer Enkelin verbindet, vermisst sie schmerzlich… Zu guter Letzt müssen alle drei Frauen große Entscheidungen für sich treffen; erst Joanna, dann Marlies und ganz zuletzt auch Lisbeth.

Man erkennt beim Lesen dieses Buches sofort: Hier ist eine Autorin am Werk, die mit der Materie vertraut ist. Ute Mank ergreift aber niemals Partei für eine ihrer Protagonistinnen. Das macht dieses Buch sehr sympathisch. So unterschiedlich die drei Frauen auch sind, man kann ihre Gefühle absolut nachempfinden, ihr Handeln verstehen, obwohl sie miteinander ihre liebe Not haben. Ute Mank erzählt meisterhaft. Jedes Wort sitzt, keines ist zu viel, keines zu wenig. Ein großartiges, ein leises, ein weises Buch.

Ute Mank: Wildtriebe.
dtv, Juli 2021.
288 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Karina Luger.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.