Ursula Niehaus: Die Stadtärztin

arztUlm, im 16. Jahrhundert. Vor wenigen Jahren hat der wütende Mob Kirchen gestürmt und zerstört, was ihm vor die Finger kam. Agathe geriet mitten hinein und musste hilfos mit ansehen, wie ihre Schwester dabei schwer verletzt wurde.
Heute sind die Wogen im Religionsstreit noch stets nicht geglättet. Die wissbegierige Agathe jedoch hat andere Sorgen. Sie würde so gerne lernen, genauer gesagt Medizin studieren wie ihr älterer Bruder. Als Mädchen ist ihr das verwehrt. Dabei hat sie nur den einen brennenden Wunsch, Menschen zu heilen. Unbemerkt schleicht sie bei jeder Gelegenheit aus dem Haus, um in einem ehemaligen Kloster den Beginen bei der Pflege der ärmsten Siechen zu helfen. Wann und wo immer sie kann, eignet sie sich heimlich Wissen an, stibitzt über Nacht die Fachbücher ihres Bruders. Später gelingt es ihr sogar, bei einem ihr wohlgesonnenen Arzt praktische Erfahrung zu sammeln.
Wie sehr sie sich und ihre Familie dabei in Gefahr bringt, ahnt sie nicht. Als sie Kaspar von Schwenckfeld von Ossig kennenlernt, einen Reformprediger, weiß sie nicht mehr, ob sie der Stimme ihres Herzens oder der Vernunft folgen soll.

Agathe Streicher ist eine historische Figur und war die erste Frau in Deutschland, der es gelungen ist, die Zulassung zur Ärztin zu erlangen, in einer Epoche, in der das absolut undenkbar war. Ihren Werdegang hat die Autorin zu einem spannenden Roman verarbeitet, der einen tiefen Einblick in die Zeit der Streicherin erlaubt. Akribische Recherche und Liebe zum Detail bilden das Gerüst, das damalige medizinisches Wissen wird in all seiner Dürftigkeit deutlich – ohne sich der Spannung in den Weg zu stellen. Agathes Mitfühlen mit denjenigen, die in dieser Gesellschaft geächtet und verlassen sind, überträgt sich auf den Leser. Eine Begegnung mit Paracelsus beeinflusst sie und ihr Denken nachhaltig. Statt Lehrbuchwissen anzuwenden, beobachtet sie, kombiniert, zieht ihre eigenen Schlüsse. Eine mutige Frau, ihrer Zeit weit voraus, und die Autorin hat ihr mit diesem mitreißenden Roman ein Denkmal gesetzt.

Ursula Niehaus: Die Stadtärztin.
Knaur, November 2014.
432 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Susanne Ruitenberg.

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