Silvesterspecial 2023

Im Laufe eines Jahres erscheinen unzählige Bücher von berühmten Autorinnen oder noch unbekannten Autoren. Darunter finden sich dann immer wieder ganz besonders berührende, unterhaltsame, fesselnde, interessante oder dramatische Bücher, die lesens- und empfehlenswert sind.

Aus den vielen Büchern, die die Rezensentinnen und Rezensenten der Leselust in den vergangenen zwölf Monaten gelesen und besprochen haben, sind es diese, die sie im Jahr 2023 besonders begeisterten:

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Paolo Giordano: Tasmanien

Paolo Giordanos neuer Roman „Tasmanien“ hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Selten habe ich mich in einem Buch so sehr wiedergefunden und erkannt gefühlt.

Der Ich-Erzähler ist auf der Flucht vor sich selbst. Er steckt in einer tiefen Sinnkrise, ausgelöst durch die Erklärung seiner Frau, sich nicht weiter den zermürbenden Versuchen einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen. Ausgehend von diesem Ereignis erzählt er von seinem Leben und von seiner Suche nach einem Thema, das ihn trägt. Er stürzt sich in verschiedene Projekte: Er beschäftigt sich mit Klimaveränderungen und ihren Folgen, er unterstützt Freunde in ihren Beziehungsproblemen und er greift ein bis dahin vernachlässigtes Buchprojekt über die Atombombe und die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wieder auf. Bei allen diesen Unternehmungen wirkt er ziellos und unzufrieden, wie einer, der sucht, aber nicht weiß, wonach. Paolo Giordanos Protagonist ist einer, der beobachtet, kommentiert, aber nicht handelt. Der mich in einen Strudel der Ausweglosigkeit zieht und am Ende doch einen Rettungsring bereithält.

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Michela Marzano: Falls ich da war, habe ich nichts gesehen

„… und falls ich etwas gesehen habe, erinnere ich mich nicht.“ (S. 28)

Dieser Spruch aus dem ideellen Familienerbe ist der rote Faden im Buch der Autorin und Philosophin Michela Marzano.

Durch Zufall findet sie die Taufurkunde ihres Vaters mit dessen vollständigem Vornamen: Ferruccio Michele Arturo Vittorio Benito. Neben seinem Rufnamen, den Namen von Vater und Großvater und dem des damaligen Königs trägt er auch den Namen von Benito Mussolini. Warum sollten die Großeltern ihren Sohn nach dem faschistischen Diktator benennen? Als sich dann auf Nachfrage im elterlichen Haus das Parteibuch des Großvaters findet, bricht für die Autorin eine Welt zusammen. Sie hatte in dem Glauben gelebt, dass alle Mitglieder der Familie dem Faschismus ablehnend gegenüberstanden und stehen. Gut, ihr Großvater hatte der monarchistischen Partei angehört, aber das war allenfalls ein bisschen peinlich. Nun stellt sie fest, dass er einer der Faschisten der ersten Stunde war und zugleich zu den Squadrista, dem berüchtigten Schlägertrupp Mussolinis, gehörte.

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Gwendolyn Brooks: Maud Martha

„Maud Martha“ ist der einzige Roman von Gwendolyn Brooks (1917 – 2000), die vor allem als Lyrikerin bekannt war.

Maud Martha erfährt schon als kleines siebenjähriges Mädchen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen nach ihrem Aussehen beurteilt werden. Ihre Haut hat die Farbe von dunklem Kakao, ganz ohne Milch, und ihre Haare sind unbezähmbar. Sie weiß, dass sie in den Augen der anderen nicht hübsch ist und beschließt doch, jemand ganz besonderes zu sein, ein einzigartiges Maud-Martha-Kunstwerk. Sie weiß, dass sie dem alltäglichen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft nicht entkommen kann, aber sie wird ihm nicht erlauben, ihr Leben zu bestimmen.

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Caroline Schmitt: Liebewesen

Im Roman „Liebewesen“ von Caroline Schmitt ist Lio Anfang 30 und hatte noch nie eine feste Beziehung. Was anderen gute Gefühle bereitet – Nähe, zärtliche Berührungen, Sex – macht ihr Angst. Mit ihrem Körper steht sie auf Kriegsfuß. Auf Initiative ihrer besten Freundin und WG-Partnerin Mariam trifft sie sich mit Max und zu ihrem Erstaunen läuft das erste Date richtig gut. Das klingt jetzt nach einer klassischen Liebesgeschichte, aber keine Angst, die Autorin Caroline Schmitt kennt offenbar die Klischeefallen und umgeht sie geschickt. Ihre Figuren sind authentisch und ungekünstelt. Ich erlebe Schmetterlinge im Bauch und alles zerfressenden Alltag. Aufeinander aufpassen und aneinander vorbeireden. Während Max seine Winter-Depressionen mit fraglichen Hausmitteln behandelt bzw. sie auf Lios Rücken auslebt, offenbart sie nur selten die Abgründe ihrer Angst.

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Maria Borrély: Mistral

Die Natur bestimmt über das Leben in den kleinen Dörfern der Haute Provence und der Mistral gibt den Takt an. Er formt Bäume und Häuser, pfeift durch die Gassen und macht einen verrückt im Kopf. Dieser kalte Wind aus Norden vertreibt die Wolken, lässt Fensterläden schlagen und die Tiere unruhig werden. Die Menschen hier leben von der Landwirtschaft, ihre Tage sind angefüllt mit Arbeit.

Marie ist die älteste Tochter von Nourrine und Costant. Die Leute sagen, dass sie auch ihre liebste Tochter ist, denn sie ist schön und heiter und sie ist sich für keine Arbeit zu schade. Als sie Olivier zum ersten Mal sieht, weitet sich ihre Welt. Eine unbändige Sehnsucht ergreift Besitz von ihr. All ihr Denken und Fühlen ist auf den schönen, kräftigen jungen Mann gerichtet.

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Knut Hamsun: Hunger

„Hunger“ von Knut Hamsun gehört zu den Büchern, von denen man meint, sie ganz sicher schon gelesen zu haben, weil sie oft genug als Bezugspunkt genannt werden. Die Prüfung des Sachverhaltes hat allerdings ergeben, dass dem in meinem Fall nicht so ist und so bot mir die Neuauflage des Buches im Manesse Verlag die Gelegenheit, diese Lücke zu schließen. Bei der Recherche bin ich auf einen mir bis dato unbekannten Umstand gestoßen: Hamsun vertrat die Positionen der deutschen Nationalsozialisten und er verehrte Hitler. Von dieser Haltung hat er auch nach 1945, als Europa in Schutt und Asche lag, nicht abgelassen, was mein Interesse an seinem Buch stärkte, denn ich wollte herausfinden, warum wir Hamsuns Werke trotzdem nach wie vor lesen.

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Thilo Wydra: Eine Liebe in Paris: Romy & Alain

Ich war etwa 12 Jahre alt, als im Fernsehen jeden Mittwoch ein Film mit Alain Delon kam. Ich war sofort schockverliebt. Inzwischen hat sich mein Beuteschema gewandelt, aber mich befällt noch immer eine leise Wehmut, wenn ich Alain Delon sehe. Daher war das Buch „Eine Liebe in Paris“ von Thilo Wydra für mich Pflichtlektüre.

Romy Schneider und Alain Delon begegnen sich im April 1958, als beide die Hauptrollen in dem Film „Christine“ spielten.  Sie war zu dieser Zeit schon eine bekannte Schauspielerin, die sich vor allem mit den „Sissi“-Filmen einen Namen gemacht hatte. Er war noch ein unbeschriebenes Blatt und hatte doch schon einiges erlebt. Folgerichtig erzählt Thilo Wydra im ersten Teil zwei Geschichten, die sich doch ähneln. Romy, die Tochter zweier Filmschauspieler (Magda Schneider und Wolf Albach-Retty), findet selten die Aufmerksamkeit ihrer Eltern.  Alain Delon wiederum fühlt sich nach der Scheidung seiner Eltern in beider neuen Familien eher als unwillkommener Störenfried.

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Katja Keweritsch: Agnes geht

Wenn nichts mehr geht, geht gehen. Dieser Spruch hält Agnes aufrecht, als sie Hamburg entlang der Elbe zu Fuß verlässt. Am Abend vorher waren bei einem Streit mit ihrem Mann böse Worte gefallen, die mit einem Schlag vieles infrage stellen – die Jahre als Hausfrau und aufopfernde Mutter, das Verhältnis zu ihrem Mann, dem sie immer den Rücken freigehalten hatte, das gemeinsam Erreichte, ihr Selbstverständnis als emanzipierte Frau. In „Agnes geht“ beschreibt Katja Keweritsch eine Frau, die sich vor die Trümmer ihrer Lebensleistung gestellt sieht.

Die Geschichte wird größtenteils aus der Perspektive von Agnes erzählt. In einigen Kapiteln bekommt aber auch ihr Ehemann Tom, der als erfolgreicher Arzt gerade den Excellence-Award einer großen Hamburger Klinik erhalten hatte, eine Stimme. Er hatte seine Aufgabe vor allem darin gesehen, durch seine Arbeit die Familie wirtschaftlich abzusichern. Nachdem Agnes weggegangen ist, muss er allein Haushalt und Kinder managen.

Agnes realisiert auf ihrer Wanderung, wie unzufrieden sie mit ihrem bisherigen Leben ist und dass sie ihre eigenen Träume der Familie geopfert hat. Als Biologin wollte sie ihren Beitrag zum Naturschutz leisten, stattdessen hat sie sich zwischen Kinderbetreuung, Essen kochen und Hausputz einspannen lassen, nur leicht abgefedert durch einen Nebenjob bei der Betreuung benachteiligter Jugendlicher. Sie muss sich zudem eingestehen, dass sie sich in ihrem Körper schon lange nicht mehr zu Hause fühlt. Die Veränderungen nach Schwangerschaften und Stillzeit erscheinen ihr wie peinliche Deformationen.

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Nathan Harris: Die Süße von Wasser

Nathan Harris, Jahrgang 1991, wird als große Entdeckung am Autorenhimmel gefeiert. Sein Roman „Die Süße des Wassers“ war auf Anhieb ein Bestseller und die Literaturkritik voller Lob. Dabei behandelt das Buch ein schwieriges Thema, eine dunkle Zeit in der Geschichte der USA, deren Schatten bis in die Gegenwart reichen.

George Walker ist ein Eigenbrötler, der gerne kocht oder in philosophierende Gedanken versunken durch den Wald auf seinem Land streift. Sein Vater war einst der größte Grundbesitzer von Old Ox, einem kleinen Städtchen in Georgia in den Südstaaten der USA. George lebt mit seiner Frau Isabelle noch immer im elterlichen Blockhaus und bisher bestritt er seinen Lebensunterhalt, indem er das ererbte Land Stück um Stück an interessierte Nachbarn verkaufte.

Doch nun ist Krieg. Die Kämpfe zwischen der Union, bzw. den Nordstaaten und den Konföderierten im Süden liegen in den letzten Zügen, die Sklaverei ist per Dekret beendet. Durch den besten Freund seines Sohnes Caleb erhält George Nachricht von dessen Tod an der Front. Während sich Isabelle mit ihrem Schmerz in Calebs Zimmer verschanzt, überwindet George seine Sprachlosigkeit mit einem neuen Projekt: Er will sein Land nutzen. Bei einem Streifzug durch den Wald hatte er zwei ehemalige Sklaven getroffen. Prentiss und Landry mussten bis vor kurzem auf der Plantage von Georges Nachbarn schuften und brauchen Geld, um im Norden eine Existenz aufbauen zu können. George bietet ihnen an, für fairen Lohn bei ihm zu arbeiten. In Old Ox macht er sich damit vor allem Feinde.

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