Charlotte McConaghy: Zugvögel

Die Tiere sterben. Bald sind wir hier ganz allein.“ So beginnt dieser Roman, der in einer Zukunft spielt, in der die Wildtiere nahezu ausgestorben sind. Die Meere sind leergefischt, in den Wäldern leben keine Füchse, Rehe und Wildschweine mehr, Schutzprogramme gibt es nur für Tierarten, die der Mensch braucht.

Küstenseeschwalben gelten als die Zugvögel mit der längsten Zugstrecke überhaupt. Sie brüten in der Arktis und fliegen auf dem Weg in die antarktischen Überwinterungsgebiete und zurück in jedem Jahr eine Strecke von bis zu dreißigtausend Kilometern, fast einmal um die Erde.

Die Forscherin Franny Lynch will den letzten Küstenseeschwalben übers Meer folgen. „Vielleicht hoffte ich ja, er würde mich dorthin führen, wohin sie alle geflüchtet waren, […] all die Lebewesen, die wir getötet zu haben glaubten. […] Oder ich hoffte einfach nur, die letzte Reise dieses Vogels würde mir einen Ort zeigen, wo ich hingehörte.“ (Zitat Kap. 1) Denn Franny ist selbst ein Zugvogel, sie kann nicht an einem Ort bleiben. Weiterlesen

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Michael Christie: Das Flüstern der Bäume

Im Jahr 2038 arbeitet Jacinda Greenwood, genannt Jake, als Naturführerin auf einer Insel vor der kanadischen Küste. Diese Insel ist einer der letzten Orte der Erde, an dem noch Primärwald zu finden ist und wo man noch frei atmen kann. Spätestens seit dem Großen Welken ist die Welt sehr unwirtlich geworden. Der Klimawandel führte dazu, dass sich die Klimazonen schneller verändern, als die Bäume sich anpassen können. Dies hat ihre Fähigkeit zur Abwehr von Schädlingen geschwächt und die meisten Bäume zum Tode verurteilt. „Während weltweit immer mehr Primärwälder absterben, trocknet der Boden aus […] und es entstehen tödliche Wolken aus Staub so fein wie Mehl, die das Land ersticken. […] Landwirtschaftsbetriebe machen Konkurs, der Aktienmarkt bricht ein, die Arbeitslosenzahlen steigen, unkontrollierte Waldbrände, Ausschreitungen und Plünderungen sind an der Tagesordnung.“ (Zitat: Kapitel „Das Große Welken“)

Ein interessantes Szenario, es ist aber nicht das Hauptthema des Romans, sondern lediglich der Rahmen, in den die Geschichte eingebettet ist. Am Anfang des Buches ist der Querschnitt eines Baumstammes abgebildet. Anhand der Jahresringe eines Baumes kann man sein Alter bestimmen, sie verraten aber auch etwas darüber, unter welchen Umweltbedingungen der Baum herangewachsen ist. Kräftiges Wachstum erzeugt breite Ringe, schmale Ringe verweisen auf schlechte, vielleicht zu trockene Jahre. Weiterlesen

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Susanne Matthiessen: Ozelot und Friesennerz

Dieses Buch ist den Inselkindern gewidmet, jenen Menschen, die auf Sylt zur Welt gekommen und untrennbar mit der Insel verbunden sind. „Ich bin und bleibe Teil einer bizarren Schicksalsgemeinschaft“, schreibt Susanne Matthiessen (Zitat S. 7). Eine Loslösung scheint unmöglich. Zu tief ist sie mit Sylt verwachsen. Dass die Insel ein Sehnsuchtsort für so viele und oftmals eine Art Kulisse ist, macht es nicht einfacher. Denn Sylt ist auch die Heimat der Inselkinder, eine Heimat, die sich durch den Tourismus in den letzten Jahrzehnten vielleicht stärker verändert hat als durch die Naturgewalten.

Susanne Matthiessen wurde 1963 auf Sylt geboren. Ihre Familie führte ein renommiertes Pelzgeschäft in Westerland. Jedoch: „Der Zeitgeist hat uns weggespült. […] Pelze sind nur noch dafür da, anderen den gesunden Menschenverstand abzusprechen und sich rückwärts zu gruseln.“ (Zitat S. 28) Das hindert die Autorin nicht daran, über Pelze und deren kunstvolle Verarbeitung zu schreiben. Alle Kapitel, ebenso der Prolog und der Epilog, handeln von verschiedenen Tieren respektive Pelzen. Mit Anekdoten hierzu führt die Autorin durch ihre Kindheit. Skurrile, berührende, lustige, nachdenklich machende Szenen reiht sie aneinander, erzählt von bekannten Persönlichkeiten, die bei Pelz Matthiessen einkauften und wie alles, wirklich alles, dem Dienst an den Gästen und Kunden untergeordnet wurde. Die Kinder blieben oft sich selbst überlassen. Keiner der Erwachsenen hatte Zeit, sich mit ihnen zu befassen, vor allem in der Hauptsaison. Die Erwartungshaltung war groß: Sie mussten funktionieren.

Das Buch eröffnet einen Blick darauf, wie damals wie heute ein verborgenes Netzwerk von Einheimischen den Laden am Laufen hält. Einige haben viel Geld verdient – doch um welchen Preis? Weiterlesen

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Marianne Kaurin: Irgendwo ist immer Süden

Das Leben ist kompliziert, wenn man elfeinhalb und erst seit einem Jahr in der Klasse ist. Wenn man in einem heruntergekommenen Block des Tyllebakken Bauvereins wohnt mit einer Mutter, die immer müde ist und nicht arbeitet.

Es ist der letzte Tag vor den Sommerferien. Ina ist noch immer ohne Freunde und wünscht sich sehnlichst, Teil der Gruppe um Mathilde und Regine zu sein. Sie sind die coolsten Mädchen. Doch Ina ist für sie entweder unsichtbar oder – viel schlimmer – ein Grund zur Belustigung. Alles andere als cool ist auch Vilmer, der ab dem nächsten Schuljahr in ihre Klasse gehen wird und sich schon mal vorstellen soll. Sein hässliches T-Shirt und die viel zu große Hose lassen ahnen, wo er neu hingezogen ist: Nach Tyllebakken. Güllebakken, spotten die anderen. Mathilde schlägt vor, dass alle in der Klasse erzählen sollen, was sie in den Sommerferien Tolles vorhaben. Eine geplante Reise klingt großartiger als die andere – Ina bleibt nichts anderes übrig als zu flunkern. Sie behauptet, in den Süden zu fahren. Dabei wird sie nirgendwohin reisen, sie kann froh sein, wenn die Mutter es schafft, jeden Morgen aufzustehen. Damit die Mutter sich keinen Kummer macht, weil Ina keine Freunde findet, hat Ina sich eine beste Freundin ausgedacht, Maria. Weiterlesen

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C. A. Fletcher: Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt

Die Menschheit ist nahezu ausgestorben, nachdem vor einem guten Jahrhundert die meisten Menschen aus ungeklärtem Grund unfruchtbar geworden sind. Nur einer von einer Million konnte noch Kinder bekommen. Die Kinderlosen wurden alt und starben und die Welt leerte sich. Die wenigen Menschen, die es noch gibt, leben in weit zerstreuten Familiengruppen.

Griz bewohnt mit Vater und Mutter, Bruder und Schwester und den beiden Hunden Jip und Jess die Hebrideninsel Mingulay. Sie ernähren sich von dem, was sie anbauen, fischen und jagen. Das Leben ist hart, doch sie kennen nichts anderes und sind zufrieden. Ihr bescheidenes Glück wird durch den Unfalltod von Griz‘ Schwester und die Krankheit der Mutter getrübt. Manchmal fahren sie zu anderen Inseln, um aus verlassenen, verfallenden Häusern mitzunehmen, was noch zu gebrauchen ist. Es gibt keinen Strom, Kerzen sind kostbar, ebenso wie alles, was sie nicht selbst herstellen können. Besonders kostbar für Griz sind Bücher. Der Vater ist der Meinung, dass Bücher vor allem nützlich sein müssen, aber Griz liebt Geschichten und schöpft daraus alles Wissen über die Welt, wie sie einmal war.

Eines Tages kommt Brand auf die Insel, ein Händler auf einem Boot mit roten Segeln. Als er abreist, hat er verschiedene ergaunerte Dinge an Bord. Das Schlimmste aber ist, dass er Jess gestohlen hat, Griz‘ Terrierhündin. Ohne nachzudenken, nimmt Griz mit dem zweiten Hund Jip auf der Sweethope die Verfolgung auf, um sich Jess zurückzuholen – der Beginn einer Reise mit äußerst ungewissem Ende. Denn Griz hat noch nie das Festland betreten. Weiterlesen

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Lana Lux: Jägerin und Sammlerin

Alisa steht kurz vor dem Abitur. Sie ist gut in der Schule, hat Talent zum Zeichnen, verdient mit Nebenjobs ihr eigenes Geld. Doch leider gelingt es ihr nie, den Erwartungen der anderen gerecht zu werden, vor allem nicht den Erwartungen ihrer Mutter. Denn sie ist ein unfähiger Trampel. Zu groß, zu schwer, mit Höckernase und schlechter Haut. Unfähig, die einfachsten Dinge zu tun. Die Einzige, die es langfristig bei Alisa aushält, ist Mia. Alle anderen gehen früher oder später: der Vater zurück in die Ukraine, die Mutter zu ihrem neuen Mann, ihre Freundin Mascha zur Tanzausbildung. Mia jedoch bleibt. Sie bringt Alisa dazu, unkontrolliert zu fressen – und anschließend zu kotzen. Mia ist ein Monster. Mia ist Bulimie. Sie bestimmt Alisas Leben, ihr ganzes Denken. Tag für Tag versucht Alisa, gegen sie anzukommen.

Schonungslos schildert Lana Lux die Krankheit. Die Leere im Inneren, die es zu füllen gilt, die Verzweiflung, den Ekel, den Selbsthass, die Macht der Waage, die Einsamkeit. Während einer Therapie wird Alisa empfohlen, ihre Vergangenheit für sich aufzuschreiben. Sie schafft es, in Gedanken zurück in ihre Kindheit zu gehen, zu ihrer wunderschönen Mutter, dem Vater, der nach der Auswanderung nach Deutschland im Kummer versank, zur unglücklichen Ehe der beiden. Zu ihrer Kindheitsfreudin mit der Ballerinafigur. Und sie erkennt, was sich ändern muss.

Auch Alisas Mutter schreibt schließlich ihre Geschichte auf. Es ist die Geschichte eines Mädchens mit einer verlorenen Kindheit und großen Träumen, einer Frau, die noch immer auf der Suche nach ihrem Platz im Leben ist. Beide Schicksale, das der Tochter und das der Mutter, berühren. Weiterlesen

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Anuradha Roy: Der Garten meiner Mutter

Myshkin ist inzwischen Mitte sechzig. Die Erinnerungen an die vielen Jahre seines Lebens verschwimmen, so wie ihm die Welt vor den Augen verschwimmt, wenn er die Brille abnimmt. Seine Mutter ging fort, als er neun Jahre alt war. Sie hat ihn und seinen Vater in der indischen Kleinstadt zurückgelassen. Das Jahr 1937, in dem er die Mutter verlor, spürt Myshkin noch auf der Haut. An sie kann er sich in allen Einzelheiten erinnern, daran, wie ihr das Haar in einer schwarzen Welle über den Rücken floss, wie sie die Blüten der Bäume im Vorbeigehen streichelte – wie lebendig sie war. Er schreibt seine Erinnerungen auf, um die Jahre seines Erwachsenwerdens in einen stimmigen Zusammenhang zu bringen. Dabei nähert sich der Geschichte seiner Mutter an.

Es ist die Geschichte einer jungen Frau, Gayatri, die Malerin werden wollte. Ihr Vater, ein College-Professor, erkannte ihre Begabungen und förderte sie, was alles andere als selbstverständlich war, interessierten doch sonst bei Töchtern nur die Talente, mit denen sie einen Mann einfangen konnten. Er unternahm große Reisen mit ihr und legte ihr die Welt zu Füßen. Auf einer der Reisen lernten sie den deutschen Künstler Walter Spies kennen, der sie zu Tanzaufführungen und Malschulen mitnahm. Er zeigte ihr ein Leben voller Leichtigkeit und Inspiration. Nach der Heimkehr starb der Vater völlig unerwartet. Gayatris Familie löste das Problem, mit einer unkonventionellen Tochter geschlagen zu sein, indem sie das siebzehnjährige Mädchen kurzerhand an einen ehemaligen Studenten des Vaters verheiratete, zweiunddreißig Jahre alt und konservativ. Er betrachtete Malen, Singen und Tanzen als „Hobby“ und hielt sich für fortschrittlich, weil er seiner Frau Hobbys gestattete. Doch mit der Zeit hörte sie auf zu malen und zu tanzen, sie verblasste immer mehr im Gefängnis der traditionellen indischen Ehe. Weiterlesen

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Albrecht Selge: Fliegen

Ein Leben ohne Jahreszeiten, ohne wirkliches Nachtdunkel, ohne die Geräusche der Welt, jedoch ein Leben im Fliegen – dafür hat sie sich entschieden, die namenlose ältere Frau, für welche Zugfahren wie Fliegen ist. Die Vergangenheit, die wegen Eigenbedarf gekündigte Mietwohnung, den Exmann, den Job, die Kindheit, in der sie vom Verschwinden träumte, hat sie hinter sich gelassen; ihre Freundin Lilo ist die letzte Verbindung zur Welt außerhalb von Zügen und Bahnhöfen. Die Bahncard 100 finanziert sie von Monat zu Monat mit Flaschensammeln, ihre Habe trägt sie in einer Sporttasche bei sich. Zu Beginn des Buches fährt sie in ihren zweiten Sommer. Sie hat sich eingerichtet in diesem ungewöhnlichen Leben, in dem sich die Route wöchentlich wiederholt wie in einem riesigen Kreisverkehr. Nackenprobleme vom vielen Sitzen versucht sie in leeren Abteilen wegzuturnen, sie ist peinlich auf Sauberkeit und passables Aussehen bedacht. Bei gesundheitlichen Problemen helfen die Mitbringsel eines Arztes, dem sie regelmäßig auf ihrer Tour begegnet. Dienstags teilt eine Bankerin mit ihr das Frühstück, freitags spielt sie Backgammon gegen einen Pendler. Denn ungesellig ist sie nicht. Nie würde sie sich aufdrängen, einem netten Gespräch geht sie aber nicht aus dem Weg. Mit der Zeit wurde sie zur Beobachterin und Menschenkennerin. Weiterlesen

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Tayari Jones: In guten wie in schlechten Tagen

Woraus ist Liebe gemacht – jene Art von Liebe, die zwei Menschen auf ganz besondere Weise verbindet? In ihrem Roman versucht Tayari Jones Antworten auf diese Frage zu finden.

Es geht um Roy und Celestial, jung, schwarz, frisch verheiratet und mit Perspektiven für eine glänzende berufliche Zukunft, doch in einer Nacht am falschen Ort. Eine Frau wird vergewaltigt und ist davon überzeugt, dass Roy der Täter ist. Dass er die ganze Zeit mit Celestial zusammen war, dass es keine DNA-Spuren von ihm gibt, dass er unschuldig ist, interessiert niemanden, auch nicht die Geschworenen, die Roy zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilen. Die Haft stellt die Ehe der beiden auf eine harte Probe. Was geschieht, wenn die Trennung länger dauert als die Zeit des Beisammenseins? Das Buch wird vorübergehend zum Briefroman; Celestial schreibt immer zurückhaltender, Roy versinkt zunehmend im Selbstmitleid, die Briefe werden seltener. Der Leser ist gefordert, zwischen den Zeilen zu lesen und seine eigenen Überlegungen anzustellen. Weiterlesen

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Annette Pehnt: Mein Amrum

„Wenn der Entschluss zu einer Insel gefasst ist, kann ich diese eine Insel erforschen, als sei sie die ganze Welt.“ (Zitat S. 26)

Annette Pehnt reist nach Amrum, zum ersten Mal mit der Hündin. Die Hündin lebte als Streunerin auf einer südlichen Insel, wurde angefahren und kam über den Tierschutz zur Erzählerin. Seit einem Jahr gewöhnen sich die beiden aneinander. Und nun also Amrum. Eine lange Fahrt mit dem Zug, die Hündin ist unruhig und den Mitreisenden im Weg; sie weiß nicht, was vor sich geht, wo sie schlafen werden. Sie hat gelernt, sich zu fürchten, und muss an der kurzen Leine bleiben.

Ankunft auf Amrum. „Obwohl die Sonne nicht scheint, ist der weite Himmel weißlich und schimmert, als wäre er von hinten angeleuchtet. Ich hatte vergessen, wie weich die blassen Farben ineinander übergehen, wie sich die Flächen ineinander auflösen …“ (Zitat S. 38) Bei den Wanderungen auf der Insel, durch den Kniepsand, über die Dünen und am Flutsaum entlang bleibt die Hündin an der Leine. Die Erzählerin hat dafür die längste Leine gekauft, die sie finden konnte. Weiterlesen

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