Inger-Maria Mahlke: Archipel

Es ist nicht das erste Mal, dass mir eine Entscheidung der Jury für den Deutschen Buchpreis komisch vorkommt. Bei „Die Habenichtse“ von Katharina Hacker kam ich mir sogar richtig verarscht vor. Oder „Tannöd“ (A.-M. Schenkel), ich erinnere mich noch, deutscher Krimipreis. Lächerlich. Dann wieder gibt es Highlights und verdiente Ehrungen wie für „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff, ach ich weiß es doch auch nicht und vielleicht Geschmackssache!  Naja, aber jetzt frage ich mich schon wieder, was das soll? „Archipel“ ist zwar von der Inselbeschreibung her, also das was hinter der Tourismusschiene, sozusagen auf der Rückseite von Teneriffa, an wirklichem Leben und Elend geschieht und geschah, sehr nah dran, aber die Familiengeschichten, von der Gegenwart zurück bis ins frühe 20. Jahrhundert verfolgt, bleiben eine einzige Anstrengung.

Da nutzen auch die (zur Hilfestellung) aufgeführten Namenslisten der vorkommenden Personen nichts, denn das immer wieder Vorblättern hilft dann auch nicht, wenn man grad wieder jemand neues im Buch vorfindet – der vorne nicht genannt wird – und vergeblich nach irgendeiner Affinität sucht. Weiterlesen

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Fabio Geda: Vielleicht wird morgen alles besser

Viele feine Lebensweisheiten durchziehen diesen Roman über das Heranwachsen von Ercole in Turin. Wir begleiten seine Ich Erzählung von früher Kindheit bis zum Fast Erwachsensein. Und es ist kein Jugendroman, aber ein bisschen doch. Ich wünschte mir, dass die Kids mal wieder, anstatt stumpfsinnig und mit fadenscheinig interessierter Miene (denn eigentlich kann da nie wirklich was Wichtiges stehen) in ihre Smartphones zu starren, ein Buch dieses Kalibers lesen. Eine Art Mark Twain (Huck Finn) Story auf Italienisch. Und mit kleinen Weisheiten meine ich, dass das Leben immer eine Art Billard ist „man weiß nie in welche Richtung sich die Kugeln bewegen“. Ercole erlebt aber auch einen Scheiß nach dem anderen, er ist auf der anderen Seite aber ein reflektierter Junge mit Zielen vor Augen. Weiterlesen

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Ulrike Draesner: Kanalschwimmer

Ein eindrucksvolles Buch. Es gibt eigentlich zwei Geschichten die ineinander schwimmen. Die eine, ein Beziehungsdrama, die andere eine Dokumentation des Willens. Charles, heute jenseits der sechzig, und sein damaliger Freund Silas, lernten als Engländer mit etwas kosmopolitischeren Hintergrund – wird ja immer seltener sowas – Ende der Siebziger auf Sylt, ein Schwesternpaar kennen: Maude und Abbie. Man ist jung, schäkert, flirtet, verliebt sich, etc… wobei die Gefühlslage der vier durchgehend durcheinander ist und im Laufe der ersten Jahre ihrer gemeinsamen Geschichte, ein schreckliches Ereignis, die Gruppe erstarren lässt. Nach Jahren des Verarbeitens, gibt es bei Charles und Maude so etwas wie ein Familienleben und sogar eine Tochter namens Hazel. Silas existiert noch, aber selten körperlich, sondern eher als ein Art Weltenbummler, der sich ab und an meldet.

Eines Tages, vierzig Jahre nach ihrem ersten Treffen, werden die Abgründe noch mal neu sortiert, die Gefühle durcheinander gewirbelt und neue Entscheidungen getroffen. Eine dieser Entscheidungen ist die von Charles: er will den Ärmelkanal bezwingen. Diesen Punkt ohne Rückkehr teilt er niemanden mit, er bereitet sich alleine vor. Weiterlesen

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Norbert Zähringer: Wo wir waren

Toll. Großartiges Buch. Wenn mich vor der Lektüre dieses Buches eine Buchhändlerin gefragt hätte, was ich so am liebsten lese, hätte ich gesagt, „Gute Romane erzählen für mich eine Geschichte, die in einem überschaubaren Zeitabschnitt spielt (möglichst so, dass ich mich auch darin spiegeln kann) – und die darüber hinaus fundierte, wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse vermittelt und das am liebsten alles vor dem Hintergrund eines Familiendramas oder Krimis, welches über mehrere Generationen durch das 20. und 21. Jahrhundert gespült wird“. Ohne zu zögern hätte mir die Kollegin von der Literaturverteilerzunft Norbert Zähringers epochales Werk „Wo wir waren“ in die Hand gedrückt! Und womit? Mit Recht! Dankbar lege ich dieses Buch zur Seite, welches alles beinhaltet, was man von großer Literatur erwarten kann!  Ob die furchtbar dunklen, vergangenen Zeiten der beiden Weltkriege bis nach Vietnam oder die Träume einer spannenden Zukunft (im All) – alles ist da in dieser wunderbaren Erzählung. Weiterlesen

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Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran

Jetzt ist sie auch literarisch angekommen. Die Generation, bzw. die Kinder und Enkel der Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, aber eben immer aus höchster Not und Lebensgefahr, aus ihren jeweiligen Heimaten fliehen mussten. Jetzt sind sie unter uns und mischen mit. Und womit? Mit Recht. Sie erzählen uns, nach und nach auch in Prosa, die Geschichten der Fluchten, der Toten und der Vertriebenen. Wie nach dem Krieg die Gruppe 47 versuchte, langsam dem Nazi Grauen mit ihren Millionen von Toten literarisch ein Bild zu geben. („An diesem Dienstag“, Wolfgang Borchert z.B.) So ist es auch heute. Sie verschaffen sich ein Gehör über Sprache und Bild. Ein Beispiel ist Shida Bazyar. Ihr gelingt ein Überblick über vier Jahrzehnte 1979 – 2009 und vier Generationen von  iranischem politischem und religiösem Wirrwarr. Sie gibt dem Ganzen eine Geschichte, indem sie bei ihrer Familie bleibt. Bei Ihrem Vater Behsad, der nach dem Sturz des Schahs 1979 voller Hoffnung als junger Kommunist im Iran von gerechter Zukunft träumte und der doch fliehen musste. Dies ist das Lied aus 1979. Weiterlesen

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Giulia Becker: Das Leben ist eins der Härtesten

Fing ganz lustig an, aber nach einiger Zeit nervte mich dieses ewige „drüber“ – ich fragte mich ständig, warum jetzt das denn auch noch, es reichte doch bis dahin…etc. Was ich damit meine, ist, dass die vier Hauptrollen in diesem Poetry slam – oder Comedydrama, am Ende eher zu Cartoon Figuren mutierten wo jedes „normale“ Miteinander nicht mehr möglich scheint. So ist diese überdrehte Geschichte recht schwer zu lesen, weil man immer irgendein Knock out erwartet, dass diese, eh schon von allem Pech der Welt gebeutelten Protagonisten, endgültig in die Enge treibt, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Doch, einmal versuchen sie es: ein völlig aus dem Ruder kippender Ausflug von Borken (an der niederländischen Grenze) in ein ostdeutsches Fake Paradies (das es allerdings wirklich gibt) namens Tropical island.

Das alle überleben und es sogar noch zurück nach Borken schaffen ist das eine, und das andere ist , dass die Autorin zuletzt Milde walten lässt, und die vier nach ihren irren und komplizierten Abenteuern, doch wieder zueinander finden. Weiterlesen

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Michael Kleeberg: Der Idiot des 21. Jahrhunderts

Dies ist ein Roman, (obwohl Roman?) ich fange mal neu an: dies ist ein Divan… so, ja, Divan (Untertitel)? Ich habe nicht Literatur studiert, ich lese nur gerne. Und so wusste ich nicht, dass Divan  (eine West-östliche Annährung) von Goethe ist. Und überhaupt, dieses Werk, wenn man es negativ ausdrücken will, schlägt Dir Deine Dummheit um die Ohren. Aber ich kann mich festbeißen. Ich war mein Leben lang Sportler. Und ich bin philosophisch betrachtet tatsächlich ein Idiot des 21. Jahrhunderts! Was begreifen wir schon? Und so nähern wir uns inhaltlich diesem wunderbaren Buch. Erschlagen von dem Weltwissen des Autors und wieder aufgerappelt durch meine bohrende Neugier. Sagen wir es mal so: ich habe nie den Koran gelesen, nicht mal einen in der Hand gehabt, aber so geht es mir im Übrigen mit der Bibel auch. Aber zum ersten Mal habe ich die Geschichte des Islam, die Lehren, die Interpretationen, von den  irregeleiteten Fundamentalisten bis hin zu auch mir nahestehenden Philosophien und Wahrheiten, in Ansätzen begriffen. Eine banale Erkenntnis: wer im Islam doof ist, der versteht auch den Koran nicht und wenn denn nur über die Imame, die dann ihre jeweilige Sicht erklären und zu instrumentalisieren wissen. Weiterlesen

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Stephen King: Erhebung

Nach langer Zeit mal wieder ein „King“. Hab ungefähr seit Clown Pennywise (Es) so recht nichts mehr gelesen, also gefühlt mehrere hundert Jahre her. Da fiel mir ein Büchlein mir Hardcover auf, klein genug für die Jackeninnentasche und durchzulesen auf einer Zugfahrt, sagen wir von Dortmund nach Stuttgart. Ich habe das Bändchen deshalb mitgenommen, weil Stephen King neben seinen beeindruckenden Horrorschockern, immer wieder großartige Kurzgeschichten geschrieben hat (z.B. Stand by me.)

In diesem Fall, also der „Erhebung“, ist alles nicht ganz so toll – es ist eher ein Märchen und ein zeitgenössisches Gesellschaftsbild einer, wie immer, bürgerlichen Kleinstadt in Maine (Castle Rock), welches sicher den Zustand der amerikanischen Gesellschaft hinsichtlich Homophobie und Rassismus widerspiegelt. Weiterlesen

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Tim Krohn: Julia Sommer sät aus

Ich bleibe dabei, auch beim dritten Band bleibt diese Idee grandios. Nämlich „Ein Buch über Gefühlsregungen zu schreiben, die von Mitmenschen vorgeschlagen werden, und die Tim Krohn so wunderbar in diese Mietshausgeschichten aus der Röntgenstraße in Zürich, einflechtet. In allen Gestalten, noch so verrückt oder jung, sexbesessen, forschend oder über das Sterben sinnend – in allen findet sich ein Teil von uns wider.“ Mittlerweile weiß ich sogar, wo die Röntgenstraße in Zürich ist – gut, ich bin nicht extra hingefahren, aber eher zufällig bei einem Besuch, entdeckte ich die Straße und das machte alles noch vorstellbarer. Weiterlesen

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Lutz Wilhelm Kellerhoff: Die Tote im Wannsee

Ein Schwarz-Weiß-Film als Buch. Die drei Autoren, die Herren Lutz, Kellerhoff und Wilhelm, machen ein Jahrzehnt wieder lebendig, in dem sie die Bilder, die man irgendwo gespeichert hat, durch ihre Beschreibungen der Szenerien des Berlins Ende der sechziger Jahre, sofort wieder vor Augen hat. Die Demonstrationen in Berlin, bis dahin in Deutschland nie für möglich gehalten, mit für die Beteiligten überraschender Gewalt und Hilflosigkeit auf allen Seiten. Rennende Schupos mit Tschakos auf den Köpfen, Demonstrationsketten mit entsprechen Schlachtrufen, Wasserwerfer, brennende Barrikaden, alles da.

Dazu die Namen von damals: Mahler, Meins, Dutschke, Kommune 1, die späteren RAF Namen, und zur Folklore die jungen Liedermacher Wader und Mey. Man wähnt sich im Bonner Haus der Geschichte oder in der RAF Ausstellung, die ich in Berlin (!) vor Jahren besucht habe. Dazu durchzieht das ganze Buch die unsägliche, so genannte Entnazifizierung, die, gelinde gesagt, in Deutschland als geradezu lächerlich durchzogen wurde. Weiterlesen

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