Banana Yoshimoto: Ein seltsamer Ort

Ein seltsamer Ort. Ein seltsames Buch. Das dürfte sich so manche Leser nach der Lektüre dieser 300 Seiten denken. Selbst die Autorin stellt im Nachwort klar, dass ihr Buch die Leserschaft spalten wird. In diejenigen, die es lieben und diejenigen, die es langweilig finden werden. Im Gegensatz zu anderen literarischen Fantasy-Spektakeln gibt es hier zwar übernatürliche Phänomene – auf Blut, Action oder Plot-Twists aller Art wird allerdings verzichtet. Die Protagonisten gleiten so sachte und unaufgeregt durch die Szenerie wie Wasser durch einen Feng-Shui Brunnen. Statt Schockmomenten warten Momente der Erkenntnis auf die überwiegend weiblichen Figuren. Weshalb Banana Yoshimoto ihr Werk lieber mit dem Label „Psychologischer Horror“ versehen möchte.

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Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum

Es gibt Lichtgestalten in der Geschichte, die ihrer Zeit weit voraus sind. Helle Geister, mutige Vorreiter, Menschen mit erweitertem Horizont. Hedy Lamarr war so eine Gestalt. Unter diesem Namen machte sie in Hollywood Karriere und wurde in den 40er Jahren als schönste Frau der Welt gehandelt. Wohingegen wenig über Hedwig Kiesler, die interessantere Frau hinter der Rolle bekannt ist. Über die Erfinderin, die Widerstandskämpferin, das Genie. Hedwig Kiesler hätte vieles sein können. Wenn sie nicht jüdisch und vor allem keine Frau in den 1930er und 1940er Jahren gewesen wäre. Das Problem an Lichtgestalten ist häufig, dass sie zu Zeiten leuchten, in denen ringsum noch Dunkelheit herrscht. Weshalb sie selten ein glückliches Ende finden.

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Abdulrazak Gurnah: Die Abtrünnigen

Abdulrazak Gurnah verleiht der Region Sansibar eine literarische Stimme. Wenig ist über die Insel im Osten Afrikas bekannt. Das Schicksal der Nation ähnelt denen vieler afrikanischer Länder. Sklavenhandel, Besetzung durch Kolonialmächte, Revolutionen, Putschversuche und Unruhen nach der Unabhängigkeit von England, Vielvölkergemisch aus Afrikanern, Arabern, Indern, Europäern. Ein Land, das seine Zeit benötigt, um zu sich selbst zu finden. Menschen, die dies ihr Leben lang nicht schaffen. Zerrrissen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Selbstverwirklichung und Selbstaufgabe, zwischen Liebe und familiären Erwartungen. In diesem meisterlich geschriebenen Roman zeichnet der Autor die Geschichte des Landes anhand eines Familienschicksal von den 1890er bis 1960er Jahren nach. Im Mittelpunkt steht eine tragische, verbotene Liebe.

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David Schalko: Was der Tag bringt

Der in Wien lebende Autor David Schalko zeigt den tiefen Fall seines Protagonisten Felix, dessen nachhaltige Firma „Wastefood“ die Coronazeit nicht überlebt hat. Mit dem Verlust seiner Arbeit verliert Felix seinen Platz in der Gesellschaft, seine Struktur, seinen Tagesablauf. Doch die Probleme des 38-Jährigen haben bereits vor der Pandemie begonnen: seine soziale Isolation, sein Nomadentum, die Getriebenheit, die mangelnde Empathie für die Bedürfnisse anderer. Dazu das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, die Fragen nach dem Sein, Schein und Status. Felix ist immer auf der Suche nach Berührung und hält sich die Welt doch stets auf Distanz.

Kompromisslose Metaphern und Zitate

Radikal lässt Schalko seine Figur an den Rand der Existenz und darüber hinaus taumeln. Surreale Ereignisse, verworrene Gedanken und Wegbegleiter, die selber straucheln – der Autor erspart seiner Figur nichts. Im Gegenteil: Er dekonstruiert sie mit Genuss. Das alles liest sich ebenso faszinierend wie erschreckend. Und setzt gleichzeitig der Gesellschaft einen Spiegel aus Scherben vor. Daneben schafft der Autor Sätze und Metaphern, die so kompromisslos schön sind, dass man nicht weiß, ob man sie übers Bett hängen oder auf eine öffentliche Toilette kritzeln soll. Beispiele: „Liebe ist, wenn man den anderen mit sich selbst verwechselt.“ (S. 120)oder „Wer bei sich selbst ankommt, fährt in einen leeren Bahnhof ein.“ (S. 267)

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Martin Suter: Melody

Mit Melody hat Autor Martin Suter eine elegante, geheimnisvolle Liebesgeschichte geschaffen: Tom Elmer, Langzeitstudent und Jurist, nimmt aufgrund von Geldproblemen einen ungewöhnlichen Job bei Alt-Nationalrat Dr. Stotz an: Er soll seinen Nachlass ordnen und den erfolgreichen Geschäftsmann und Politiker im besten Licht darstellen. Dafür zieht Tom sogar in die Villa des Arbeitgebers in Zürich. Hier steht in jedem Zimmer ein Bild von einer wunderschönen jungen Frau, arrangiert zu einer Art Schrein. Wer ist die geheimnisvolle Fremde?

Verbotene Liebe

Der gebrechliche Dr. Stotz erzählt Tom episodenartig von Melody, der tragischen Liebe seines Lebens. Die bildhübsche Buchhändlerin war zwanzig Jahre jünger als er und stammte aus einer marokkanischen Familie. Die war von der Verbindung zu einem Nicht-Muslim wenig angetan und drohte damit, sie zu verstoßen.

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Irene Diwiak: Malvita

Krimi, Rachethriller, Familiendrama? Mitnichten. Diwiaks Roman ist wie ein beklemmender Irrgarten durch Dante Alighieris Inferno der Neuzeit. Ein Taumeln durch eine göttliche Komödie voller Wirrungen, Wendungen und Charaktere, die in ihren eigenen Obsessionen gefangen sind. Trotz der malerischen toskanischen Landschaft, die in der Hitze des Sommers geradezu flimmert, lauern die finsteren Vorboten überall. Da ist zum Beispiel der Ort des Settings, Malvita. Eine Mischung aus „Malavita – Unterwelt“ und „male vita“, ein Ort, in dem es sich schlecht leben lässt.

Beides ist mehr als zutreffend. Jahrhundertelang war Malvita, unweit von Florenz gelegen, ein wichtiger Produktionsort für Leder. Der Gestank der Gerbereien verpestete zwar die Luft, sicherte den Familien aber ein Einkommen. Nachdem die Lederfabrik die Wirtschaftskrise von 2007 nicht überlebt hatte, zogen die meisten Familien weg, die Stadt verfiel. Ein paar arbeiten seitdem in der verwinkelten, unheimlichen und trutzigen Villa der Unternehmerfamilie Esposito. Auch deren Namen verheißt nichts Gutes. Bedeutet er doch ursprünglich „Der Ausgestoßene“.

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Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Selten wurde mit so viel Witz, Lebensklugheit und Chuzpe über das Älterwerden geschrieben. Die jüdisch-deutsche Autorin Adriana Altaras illustriert diesen Vorgang in ihrem biografisch angehauchten Roman „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ an zwei ganz unterschiedlichen Frauenfiguren. Dabei wird klar: Alter ist abhängig von der Einstellung, nicht vom Geburtsdatum! Da ist zum einen die 60-jährige Autorin, die in einer typischen Krise steckt: Ihr Mann hat sie nach 30 Jahren Ehe für eine Jüngere verlassen, die beiden Söhne sind ausgezogen, dazu kommt noch der Corona-Lockdown.

Sie fühlt sich allein, alt und ungeliebt. Eine ganz andere Einstellung hat ihre Tante Jelka. Sie wird in Kürze 100 Jahre alt! Momentan lebt sie in einem Pflegeheim in Mantua und blickt auf ihr ereignisreiches Leben zurück. Ihre spitze Zunge hat die mondäne, lebenslustige Dame trotz ihres bewegten Lebens zwischen Vertreibung, KZ und einer strengen italienischen Schwiegermutter nie verloren. Diese Spitzen bekommt die Autorin zu spüren – in herrlichen Telefondialogen schenken sich die beiden Damen nichts. Während die Jüngere jüdische Witze zum Besten gibt, kontert die Ältere mit druckreifen Lebensweisheiten. Motto: „Ein Leben lang mittags Pasta und man überlebt alles!“ 

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Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume

Der Meister des französischen Thrillers Jean-Christophe Grangé ist mit meinem Paukenschlag zurück. Sein neuestes Werk „Die marmornen Träume“ spielt in einem Setting, das bestenfalls als düster bezeichnet werden kann. Und zwar in Berlin, im September 1939 zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Neben dem eigentlichen mörderischen Plot entwickelt sich eine Atmosphäre des Bösen, in der unvorstellbare Gräuel zur gesellschaftskonformen Normalität geworden sind. Der Autor führt uns den ganz alltäglichen Horror vor Augen, eine Welt des Machtmissbrauchs, der blinden Hörigkeit, der sinnlosen Gewalt. Dabei zeichnet er drei komplexe Hauptcharaktere, die mit den Widersprüchlichkeiten der Ära zurechtkommen müssen und bei denen die Grenzen zwischen Gut und Böse luzide werden. Ein brutaler SS-Mann, ein ebenso zwielichtiger wie verführerischer Traumforscher und die alkoholabhängige, adelige Leiterin einer psychiatrischen Anstalt bilden ein ungewöhnliches Trio.

Ihre Wege kreuzen sich durch die Morde an den „Adlon-Damen“. Die blonden, arischen Frauen der besseren Gesellschaft, verheiratet mit NS-Größen und regimetreuen Großindustriellen, verbringen in dem Berliner Nobelhotel ihre Nachmittage in gelangweiltem Luxus. Doch nacheinander werden sie auf bestialische Weise getötet. Treibt ein irrer Serienmörder im straff durchorganisierten Nazireich sein Unwesen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Noch dazu, weil die Taten politisch motiviert sein könnten. Deshalb müssen die Ermittlungen unter strengster Geheimhaltung stattfinden.

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Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen

Wie in einen fiebrigen Traum treibt uns die Autorin Raffaela Edelbauer durch eine Wiener Nacht. Aber nicht irgendeine: Es ist der 30. Juli 1914. Die letzte Nacht vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Menschenmassen feiern, taumeln, wissen nicht wohin mit sich und ihren Gefühlen. Alles ist auf den Beinen, alles ist im Umbruch. Meisterlich beschreibt die österreichische Schriftstellerin, was hinter den erhitzten Gemütern lodert, was die Stimmung explodieren lässt, was eine Zeitenwende einleitet. Es ist nicht nur der Konflikt zwischen Nationen. Es sind mannigfaltige Brennpunkte. Proletarier gegen Aristokratie, Tradition gegen Moderne, Männern gegen Frauen, Wissenschaft gegen Spiritualität. Drei junge Menschen stehen sinnbildlich für die Tragödie dieser Nacht. Eine Generation voller Hoffnungen, voller Hunger – zum Scheitern aufs Schlachtfeld geführt.

Der 17-jährige Tiroler Hans flüchtet in einer Nacht- und Nebelaktion von dem Bauernhof, auf dem er seit Jahren als Pferdeknecht geschuftet hat. Der uneheliche Sohn eines Holzexporteurs ist belesen. Sein Wissen findet durch seine prekären Umstände allerdings kaum Anwendung. Er denkt, da muss noch mehr kommen im Leben. Er weiß nur noch nicht was. Da er bei sich eine seltene Gabe vermutet, sucht er die Psychoanalytikerin Helene Cheresch auf, die sich mit Phänomen wie Traumdeutung und kollektivem Unterbewusstsein befasst.

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Natalie Haynes: Stone Blind: Der Blick der Medusa

Wer kennt sie nicht, die Legende von Medusa, der Frau mit dem Schlangenhaar, deren Blick jeden Menschen sofort versteinert? Die von Perseus enthauptet wird, um mit Hilfe ihres Kopfes die schöne Andromeda vor einem Meeresungeheuer zu retten? Die studierte Altphilologin Natalie Haynes hat in England durch ihre populäre Aufbereitung antiker Sagen bereits Kultstatus erreicht. Ihr Anliegen laut Klappentext: „Ich denke ich schulde ihr einen Roman. Medusas Geschichte ist die eines Monsters, das kein Monster ist. Ich möchte Medusa ihre Stimme zurückgeben.“ Und beim Göttervater Zeus – das hat sie!

Der Autorin gelingt ein Bravourstück. Obwohl sie an den wesentlichen Handlungsabläufen nichts ändert, kommt allein durch den Perspektivwechsel mit der damit verbundene Täter-Opfer-Umkehr eine völlig andere, viel faszinierendere Geschichte heraus. Natalie Haynes rockt das Ding. Sie macht die jahrtausendealte Story so brandaktuell, vielschichtig, feministisch und bisweilen sogar höchst amüsant (Haynes ist auch als Komikerin tätig) wie nie zuvor!

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