Stuart Turton: Der Tod und das dunkle Meer

Der Meister des Plot-Twists sorgt auch in seinem zweiten Buch für einige Überraschungen. Stuart Turton versteht es, eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen, in der die Geschehnisse schnell eskalieren können. Steckte der Protagonist in seinem Erstlingswerk „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ in einer Zeitschleife fest, so sorgt diesmal die beengte Atmosphäre eines Handelsschiffes im Jahr 1634 für Hochspannung. Das Schiff der Ostindienkompanie macht sich von der Kolonie Batavia (Indonesien) auf nach Amsterdam. Handelsgüter wie wertvolle Gewürze und geheimnisvolle Schätze sollen den Reichtum der Edelleute mehren. Doch Gefahren lauern hinter jedem Schiffsmast: Seuchen wie Lepra, meuternde Matrosen, gierige Soldaten, gefährliche Stürme und meterhohe Wellen – es gibt kein Entrinnen für die Passagiere! Die größte Gefahr von allen geht jedoch vom Aberglauben der damaligen Zeit aus. Schon vor dem Ablegen weisen unheilvolle Vorzeichen darauf hin, dass ein Dämon, bekannt als „Alter Tom“ auf dem Schiff sein Unwesen treiben soll. Erste Leichen und unerklärliche Botschaften erzeugen bald eine Massenhysterie an Bord, welche in einer Spirale sinnloser Entscheidungen und eskalierender Gewalt endet. Nur wenige verstehen es, einen klaren Kopf zu behalten. Sie versuchen eine Katastrophe abzuwenden.

Arent Hayes war jahrelang Söldner und auf den Weltmeeren unterwegs. Bis er vor vier Jahren zum Leibwächter und Assistenten von Samuel Pipps wurde, der durch die Aufklärung ungewöhnlicher Verbrechen Berühmtheit erlangt hat. Doch nun ist er es, der in Ketten auf das Schiff „Sardaam“ geführt wird. Eigentlich sollte Sammy nur dabei helfen, einen verborgenen Schatz zu finden – weder er noch Arent wissen, wessen Verbrechen er nun beschuldigt wird. Doch der herrschsüchtige Generalgouverneur Jan Haan, der auf dem Schiff mit strenger Hand regiert, schweigt dazu beharrlich. Noch vor Abfahrt des Schiffes kommt es zu einer unheimlichen Szene am Hafen. Ein Lepra-Kranker mit herausgeschnittener Zunge „spricht“ zu den Anwesenden und warnt vor dem Dämon „Alter Tom“, der auf der Sardaam sein Unwesen treibt. Dann geht er in Flammen auf. Sara Wessel, die unglücklich verheiratete Frau von Haan und ihre äußerst intelligente Tochter Lia versuchen gemeinsam mit Arent dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Sara hat nicht nur Kenntnisse in Heilkunde und Lia in Konstruktionstechnologie.; beide wollen heil in Amsterdam ankommen, um sich endlich von dem herrischen Familienoberhaupt zu befreien. Sie planen sich mit der verführerischen Witwe Creesje Jens, die in Frankreich einen Herzog heiraten soll, ins Ausland absetzen. Doch werden sie es überhaupt bis dorthin schaffen? Mysteriöse Lichter und Symbole, tote Tiere, erste Leichen sowie flüsternde Stimmen in der Nacht sorgen dafür, dass sich die Passagiere nach und nach gegenseitig an die Gurgel gehen. Arent, der dasselbe Teufelssymbol seit seiner Kindheit als Narbe auf seinem Arm trägt, scheint hierbei eine Schlüsselrolle zu spielen. Fest steht: Um das Geheimnis zu klären, müssen sie weit in die Vergangenheit reisen, ganz ohne Sammy, der in einer Zelle gefangen ist.

Stuart Turton spielt mit den Erwartungen seiner Leser. Er versteht es, mit Plot-Twists zu jonglieren und das Geglaubte immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Noch dazu sind die Settings perfekt gewählt. Enge, Hitze, Krankheiten, Gestank, Schmutz, Nahrungsknappheit und die explosive Atmosphäre einer Vielzahl unterschiedlichster Individuen, die sich auf engstem Raum über Monate hinweg miteinander arrangieren müssen, beschreibt Turton sehr bildlich und beklemmend. Hier gelten andere Gesetze, als auf dem Festland. Hier geraten Menschen permanent an ihre Grenzen. Hier scheint Unmögliches möglich. Für geschönte Seefahrerromantik ist kein Platz. Mit Grausen beobachtet der erfahrene Arent, wie Kinder frohgemut an Bord springen und sich auf ein Abenteuer freuen. Etliche von ihnen den Zielhafen nicht lebend erreichen.

Seine lebendigen Charakterzeichnungen tun ein Übriges dazu. Auch wenn Arent der Hauptcharakter ist, räumt Turton den weiblichen Protagonistinnen jede Menge „Manpower“ ein. Sie kommen an Bord fast besser zurecht, als die Männer. Kein Wunder – sie sind an beklemmende, ausweglose Verhältnisse gewöhnt. In Batavia verbarrikadierte der Generalgouverneur seine intelligente 13-jährige Tochter Lia hinter die Festungsmauern. Grund: Kluge Frauen wurden leicht der Hexerei bezichtigt. Auch Sara hat in ihrer Ehe nichts zu melden und Schläge klaglos hinzunehmen. Doch nun kann sie sich als Heilerin und Spionin betätigen. Creesje muss hingegen ihre Reize dazu einsetzen, sich Männer mit Macht zu angeln, um selbst Entscheidungsgewalt zu erlangen. Trotz der explosiven Ausgangssituation schafft es Turton immer wieder Wortwitz in seinem Plot unterzubringen. Überhaupt lässt sich sein Werk schwer einordnen. Es trägt Züge von Krimi, Fantasy, Historienroman. Was weitere Überraschungen mit sich bringt.

Auch wenn es mit dem eigentlichen Plot nichts zu tun hat: Turtons liebevolle Widmung an seine Tochter sowie seine amüsante Danksagung runden das Buch perfekt ab. Hoffen wir auf mehr Bücher aus der Feder des sympathischen, britischen Autors!

Fazit: Atmosphärisch und voller Wendungen: Man mische Aberglaube, Gier plus Naturgewalten und werfe sie in das beengte Gefäß eines Handelsschiffes auf hoher See. Heraus kommt ein hochexplosiver Cocktail. Seite für Seite ein spannendes Vergnügen.

Stuart Turton: Der Tod und das dunkle Meer.
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Merkel.
Tropen, August 2021.
608 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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