Sorj Chalandon: Mein fremder Vater

Die grauenhafte Kindheit eines Jungen in Lyon in den 60er-Jahren ist Thema in Sorj Chalandons Roman „Mein fremder Vater.“ Der kleine Émile muss mit einem bösartigen Mann klarkommen, der ihn grundlos schlägt, ihn nächtelang im Schrank einsperrt (die „Besserungsanstalt“), ihm das Abendessen streicht und ihn in eine obskure Widerstandsgeschichte verwickelt, von der lange nicht klar ist, ob sie etwas mit der Wirklichkeit zu hat oder ob der Vater sie sich nur ausgedacht hat. Die Mutter, die ebenfalls den Gewaltausbrüchen ihres Mannes ausgeliefert ist, schweigt zu den Vorkommnissen und sagt nur: „Du weißt doch, wie dein Vater ist.“

Die Lektüre dieses Romans ist aufwühlend. Man empfindet beim Lesen starkes Mitleid mit dem leidgeprüften Jungen und fragt sich, warum die Mutter das Martyrium ihres Sohnes duldet.

Natürlich ist das Buch ein Plädoyer für einen liebevollen Umgang mit den eigenen Kindern. Es zeigt, wie sehr die Kleinen unter Erwachsenen leiden können, die ihnen nicht wohlgesonnen sind, und wie wehrlos sie ihnen mitunter ausgeliefert sind.

Kleiner Kritikpunkt: Die Geschichte tritt vielleicht einen Tick zu lang auf der Stelle, kommt nicht recht voran: Émile leidet, sein Vater quält ihn – das bleibt lange der Status Quo. Erst am Ende kommt Bewegung in die Handlung.

Trotzdem: ein gutes und wichtiges Buch.

Sorj Chalandon: Mein fremder Vater.
dtv, August 2017.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.

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