Sebastian Fitzek: Das Joshua-Profil

joshuaEs gibt Bücher, die will man schneller lesen, als es die eigene Zeit erlaubt. Und so kommt es vor, dass man zugunsten der Geschichte einfach auf ein bisschen Schlaf verzichtet. Mal ehrlich: Wer braucht schon Schlaf? So ergangen ist es mir bei dem aktuellen Buch von Sebastian Fitzek.

„Das Joshua Profil“ erzählt von Max, der verdächtigt wird, seine Pflege-Tochter entführt zu haben, nachdem ihn das Jugendamt darüber informierte, dass es eine Rückführung geben soll. Die 10-Jährige bleibt verschwunden, während sich Max im Krankenhaus mit einer vermeintlichen Kopfverletzung von seinem Drogenrausch kuriert. Doch unter dem Verband hört er eine Stimme. Seine Tochter flüstert: „Bitte sag jetzt kein Wort, Papa. Bitte, Papa, kein Wort. Sonst wird er mich töten.“

Ich bin gefangen. Ich möchte mich befreien, doch es geht nicht. Fitzek hat mich. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Hoffen, Bangen, Entsetzen, erschrockenem Einatmen und dem Wissen, dass die ganze Story von Predictive Policing à la „Minority Report“, Pflegefamilien, Misshandlung und Missbrauch, die er in Berlin spielen lässt, gar nicht so abwegig ist. Gar nicht so unrealistisch.

Gefallen haben mir die kurzen Verschnaufpausen, die einem der Autor zugesteht, indem er die Kapitel recht kurz hält (insgesamt gibt es 83 Kapitel auf 432 Seiten). Auch werden die Handlungsorte oft gewechselt, sodass man auch zum Essen und Trinken kommt und nicht gänzlich vom (stockenden) Atmen und Lesen allein leben muss. Und doch sind da diese Cliffhanger …

Eine kleine Weile rund um Kapitel 52 werden mir die (wenn auch nötigen) Erklärungen der Zusammenhänge ein bisschen viel. Ich fühle mich an die typischen Gut-Böse-Filme erinnert, in denen sich der Antagonist kurz vor dem (unausweichlichen) Ende des Titelhelden noch einmal die Zeit nimmt, seine Beweggründe bis ins kleinste Detail zu erläutern – und sich die Geschichte genau wegen dieser zu lange gezögerten Zeit zum Guten wendet. Doch hier ist das Ende noch nicht so nah. Fitzek lässt mich weiter zittern. Und damit ist die Erklärungsstrecke verziehen.

Ein Buch für alle Thriller-Fans. Für die Berliner. Und für junge Familien. Und alle anderen. „Im Grunde schreibe ich über diese Themen, weil sie mich bewegen“, sagt Fitzek. „Und weil sie relevant sind. Jährlich werden allein in Deutschland etwa zweihunderttausend Kinder misshandelt. Missbrauch und Misshandlung sind Massendelikte, und es wäre geradezu absurd, sie im Medium Buch, das Hunderttausende von Menschen erreicht, zu ignorieren und stattdessen über den Mord an einer Millionärswitwe in einer Grunewalder Villa zu schreiben, der statistisch gesehen kaum vorkommt.“ (S. 404)

Sebastian Fitzek: Das Joshua-Profil.
Bastei Lübbe, Oktober 2016.
480 Seiten, Taschenbuch, 10,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annett Bergk.

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