Sandra Lüpkes: Die Schule am Meer

Wer die Bücher von Sandra Lüpkes nicht kennt, hat etwas verpasst. Sie schreibt unglaublich spannende Krimis um die Ermittlerin Wencke Tydmers, romantisch-witzige Romane um ein heimeliges Inselhotel, heiter-verwickelte Kurzgeschichten und noch vieles weitere mehr. Wer ihre Bücher nicht kennt, kennt aber vermutlich ihre Filme, denn Sandra Lüpkes ist auch eine fleißige Drehbuchautorin, so beispielsweise für die Reihen „Wilsberg“ oder „Friesland“.

Und nun legt sie mit „Die Schule am Meer“ einen Roman ganz anderer Art vor. Sie erzählt darin die wahre Geschichte einer Schule, die in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf der Nordseeinsel Juist entstand. Wenn man weiß, dass die Autorin selbst ihre Kindheit auf Juist verbrachte und daher eine besondere Beziehung zu dieser Insel hat (die sich auch in ihren anderen Romanen niederschlägt), dann mag man verstehen, dass sie sich für diese Schule und ihre Hintergründe interessiert hat.

Im Nachwort erläutert sie, was sie veranlasste, aus dieser Geschichte einen Roman zu machen, wie sie die Recherchen durchgeführt und wer sie dabei unterstützt hat. Dort erfährt man dann auch, welche der im Roman auftretenden Figuren authentisch, also historisch belegt sind und welche hinzuerfunden wurden.

Die Schule am Meer entsteht 1925, gegründet von idealistischen und enthusiastischen Lehrern und ihren Familien. Sie wollen einen neuen Weg der Kindererziehung gehen, mit Koedukation, mit der Erziehung zu selbstständigem Denken und Handeln der Schüler, Übernehmen von Verantwortung, Abkehr von Züchtigung und Strafe, Hinwendung zu Verständnis, Vertrauen und Zusammenhalt. Einer der Gründer ist Paul Reiner. Der Roman beginnt, als seine Frau Anni mit ihren Töchtern zu ihm auf die Insel kommt. Sie ist ebenfalls Lehrerin und wird eine der wichtigsten Figuren für die Schule und im Roman. Anni ist Jüdin, sie stammt aus einer wohlhabenden Frankfurter Familie.

Zeitgleich kommt auch der Dirigent Eduard Zuckmayer, älterer Bruder des Schriftstellers Carl Zuckmayer, nach Juist und übernimmt den Musikunterricht in der Schule.

Weitere Hauptpersonen in den Geschehnissen sind der Schüler Maximilian Mücke, von allen nur Moskito genannt, sowie die Hauswirtschafterin Kea und ihre Nichte Marje.

Die Schule beziehungsweise ihre Lehrer und Schüler werden auf der Insel nicht gerne gesehen. Die freiheitliche Erziehung stößt bei den Insulanern auf wenig Verständnis. Allen voran der Kellner Gustav Wenniger, ein ganz früher Mitläufer der Nationalsozialisten, der im Laufe der Jahre immer mehr Macht im kleinen Gefüge der Inselbewohner an sich zieht. So bleibt es natürlich auch nicht aus, dass insbesondere Anni seinen Anfeindungen ausgesetzt ist.

Der Roman deckt die Zeit von Gründung der Schule 1925 bis zum Jahr 1934 ab, als die Schule schließen musste.

Man merkt dem Roman an, dass Sandra Lüpkes ihre Insel kennt. Ganz besonders, wenn sie das harte Leben in dieser Zeit an diesem Ort beschreibt, wenn sie die Unbilden des Wetters, die Kargheit des Alltags und die Knorrigkeit der Bewohner schildert, dann ist man dort, sieht die Wellen, spürt den Wind, hört das Meer, schmeckt die salzige Luft. Die Charaktere der Hauptfiguren sind fein herausgearbeitet, die Last und die Verzweiflung über die immer schwierige finanzielle Lage der Schule, die Freude über die positive Entwicklung der Kinder zu verantwortungsvollen Menschen, all das kann man als Leser wunderbar und hautnah miterleben.

Und dennoch lässt mich, die ich doch ein großer Fan von Sandra Lüpkes bin, dieser Roman mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Dabei ist es nicht das Problem, dass wenig Spannung aufkommt, das ist dem historischen Zusammenhang geschuldet, den man kennt und der daher keine Überraschungen mehr bringt. Aber hier fehlt mir so ein wenig die „Farbe“, sind mir die Charaktere zu schwarz-weiß gemalt. Es gibt wenig grau, wenige Figuren, die vielfältig, spannend sind. Es gibt entweder die Bösen, die im Dorf, die Nazis und Neider. Und es gibt die Guten, die Lehrer und Schüler und die ganz wenigen Dorfbewohner, die sie unterstützen.

Dennoch liest man stets gerne weiter.  Weil Anni, weil Moskito und Marje sehr sympathische Figuren sind. Und weil der Roman sehr gut geschrieben ist. Es ist ein Roman, der eine interessante, eine große und wichtige Geschichte erzählt.

Sandra Lüpkes: Die Schule am Meer.
Kindler, März 2020.
576 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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