Ramón José Sender: Requiem für einen spanischen Landmann (1953)

Paco el del Molino, der politische Widerstandskämpfer, ist tot. Seine Gegner haben ihn ordnungsgemäß erschossen. Nun gibt es keinen Aufruhr mehr. Die Bewohner eines aragonesischen Dorfes könnten ihre Alltagsgeschäfte aufnehmen, wenn sie noch vollzählig wären. Aber sie sind es nicht. Pater Mosén Millán will für Paco, seinen Sohn im geistigen Sinne, eine Totenmesse lesen und wartet auf die Trauernden. Und während er wartet, denkt er über Pacos kurzes Leben nach. Allmählich beginnt er die Ereignisse in einem neuen Licht zu sehen.

Der Autor und Journalist Ramón José Sender (1901 – 1982) beschreibt in seiner Erzählung Requiem für einen Landmann ein politisches Lehrstück, das von Unterdrückung und Befreiungskämpfen handelt. Ursprünglich sollte 1952 die in Mexiko verfasste Geschichte in einer Anthologie veröffentlicht werden. Weil dies scheiterte, erschien sie im Folgejahr in seinem Exil als eigenständiges Buch. Insgesamt verbrachte Ramón José Sender mehr als die Hälfte seines Lebens im Exil, zuletzt in Kalifornien. 1974, ein Jahr nach Francos Tod, wurde seine Erzählung in Spanien veröffentlicht und zu seinem erfolgreichsten Buch. Denn es erlaubt mehre Lesarten und Interpretationen: Vordergründig wird über wechselnde Perspektiven Pacos erwachender Verstand beschrieben, der ihn zum Handeln verleitet. Als der erwachsene Paco auf dem Gipfel seiner politischen Macht den Armen eine bessere Lebensgrundlage ermöglichen will, wird er sofort zum Feind der Großgrundbesitzer. Eine weitere Lesart wäre, die spannend zu lesende Geschichte als Handbuch für einen erfolgreichen Widerstand zu betrachten. Denn jeder engagierte Mensch kann aus den Erfolgen und Fehlern anderer lernen. Das Besondere an der Erzählung dürften die Erkenntnisse des Paters sein, der früher mit  Paco eng befreundet war. Es lag nahe, den Jungen als Messdiener an sich und den katholischen Glauben zu binden. Eines Tages sollte Paco ihn bei der letzten Ölung eines verarmten Landarbeiters begleiten. Auf dem Rückweg sprachen sie zwangsläufig über Armut. Der Pater meinte, dem Sterbenden ginge es besser, wenn dessen Sohn nicht im Gefängnis wäre.

„Der Junge schaute zu den Sternen auf. ‚Ihr Sohn kann gar nicht so böse sein, Pater Millán.‘

‚Wieso?‘

‚Wenn er böse wäre, hätten seine Eltern Geld. Er würde stehlen.‘“ (S. 34)

Das Verständnis von Recht und Unrecht prallen in der Erzählung immer wieder aufeinander, bis der erwachsene Paco vom Pater besucht wird und ihm wie früher blind vertraut.

Ramón José Sender wählte seinen Geburtsort und seine Kindheit als Hintergrund für diese Erzählung, und wie Paco war er auch Messdiener.

An einer Stelle klagt Pater Millán den Chef einer Mörderbande an, all die Getöteten hätte von ihm keine letzte Ölung erhalten. Vielleicht akzeptierte er die Morde, vielleicht wollte er für die Delinquenten Zeit gewinnen, vielleicht ist aber auch eine dritte Lesart möglich. Fügsamkeit, bis der Totengräber kommt.

Ramón José Sender: Requiem für einen spanischen Landmann (1953) – Neuübersetzung aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Mit einem Nachwort von Erich Hackl.
Diogenes, Mai 2018.
128 Seiten, gebundene Ausgabe, 20 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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