Philippe Amar: Victor, Lily und der Weg nach Hause

Mit viel Geschick umschifft der Autor alle Kitschklippen in seinem Roman um einen Waisenjungen, der sich eine neue Mutter über ein Datingportal suchen willVictor ist 12 und lebt bei seiner geliebten Pflegemutter Annie. Seine Eltern hat er nie kennengelernt. Das Licht der Welt erblickte er bei einer anonymen Geburt, ohne dass seine Mutter eine Spur zurückgelassen hätte, mit der er sie finden könnte. Sein Vater war ihm zwar bekannt und er hat auch mit ihm korrespondiert, doch ist er jung gestorben, so dass sie sich nie begegnen konnten.

Nun soll Victor zu Adoptiveltern kommen, denn Annie ist herzkrank und kann künftig nicht mehr für ihn sorgen. Doch Victor will sich nicht wie ein fügsames Lamm neuen Eltern zuführen lassen, er will selbst entscheiden, wer seine Mutter sein soll.

Also erstellt er mit Hilfe seiner Freunde ein erfundenes Profil von sich auf ein Datingportal. Auf diese Weise lernt er Lily kennen. Sie ist Patissière in einem Nobelrestaurant, hat diverse schlechte Erfahrungen mit auf diesem Weg zustande gekommenen Dates hinter sich. Außerdem hat auch sie eine schwierige Familiengeschichte zu verarbeiten. Sie steht Victors Ansinnen daher eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Doch er lässt nicht locker, sondern stattdessen all seine Verführungskünste spielen.

Philippe Amar erzählt uns diese Geschichte aus den beiden Perspektiven von Viktor und von Lily. Besonders gut gelingt es ihm, den passenden Ton eines Zwölfjährigen zu treffen. Die launigen Gespräche zwischen Viktor und seinen Freunden José und David sind herrlich witzig. Wenn die drei Jungen versuchen, die verschlüsselte Sprache der Erwachsenen beim Chatten über das Portal zu verstehen, wenn sie ihre Mitschülerin Caroline bitten, mit ihnen die Treffen mit Lily zu üben, das ist ein wunderbarer Spaß. Dabei wird es nie albern, bleibt immer authentisch und hält perfekt die Balance zwischen Humor und Tiefgang. Denn parallel erfährt die Leserin viel über die Abläufe in der Jugendbetreuung und der Adoptionsvermittlung. Und über den Zusammenhalt in Victors Viertel, wo ihm auch der Kneipenwirt Momo bei seiner Suche nach einer Mutter tatkräftig hilft.

Auch wenn man den Ausgang der Geschichte im Grunde von Beginn an ahnt, macht der Roman doch viel Spaß, rührt und berührt. Und ganz nebenbei lernt man noch so einiges über die Kunst der Patisserie.

Philippe Amar: Victor, Lily und der Weg nach Hause.
Heyne, April 2021.
432 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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