Patrick Tschan: Schmelzwasser

1947 lässt Emilie Reber sich in einem Städtchen am Bodensee nieder, das namentlich nicht genauer bezeichnet wird.  Sie war in Frankreich bei der Resistance und kommt mit den französischen Besatzern nach Deutschland zurück. Der Bodensee erinnert sie an das Meer in Südfrankreich. Mit im Gepäck hat sie die „Bibliothek der Freiheit“, eine Ladung vor der Verbrennung geretteter Bücher, die sie 1939 gemeinsam mit Heinrich Mann in Sicherheit gebracht hat. Entschlossen geht sie daran, eine Leihbibliothek aufzubauen, kombiniert mit einer Buchhandlung. Literatur ist ihr Leben aber das Interesse der Mitmenschen an ihren Büchern hält sich in Grenzen. Man hat gerade den Krieg hinter sich gebracht. Aus dem Städtchen glaubt niemand, irgendeine Schuld auf sich geladen zu haben.

An die Nazi-Jahre will sich keiner mehr erinnern, die Zeiten sind vorbei. Emilie Reber aber möchte die Leute zur Aufarbeitung der Ereignisse animieren, indem sie die „verbotenen“ Bücher lesen und darüber nachdenken, wie die vorgefallenen Gräuel passieren konnten und wie sie Hitler in die Arme gearbeitet haben. Das stößt nicht überall auf Gegenliebe. Eine erste Verbündete findet sie in der jungen Friseuse Ilse, der Emilie Reber hilft, einen eigenen Salon auf die Beine zu stellen. Auch in der Boutique-Besitzerin Hildegard Zahnlaub findet sie eine Gleichgesinnte und irgendwann fällt ihr auf, dass ständig ein stiller Herr schreibend in ihrer Buchhandlung in der Ecke sitzt. Es handelt sich um Ignaz Franck, einen in die USA emigrierten und ebenfalls zurückgekehrten Juden. Gemeinsam versuchen die vier in den folgenden Jahren den braunen Mief zu vertreiben, den einige ewig Gestrige immer noch verbreiten und eine neue, freie, selbstbestimmte Zeit einzuläuten. Das geht nicht ab ohne eingeschlagene Schaufenster und ein Schussattentat, aber die vier Freunde stehen zusammen, bis auch am Bodensee neue Zeiten anbrechen.

Der Autor legt diesem Unterhaltungsroman ein ernstes Thema zu Grunde. Ein kleines Städtchen arbeitet seine NS-Vergangenheit auf und blickt vorwärts in eine aufgeklärte, freie Zukunft. Die bösen Alten werden besiegt, alles fügt sich. Der Text driftet aber in Klischees ab und verliert gegen Ende zunehmend an Glaubwürdigkeit. Die Figuren haben mich nicht so recht überzeugt, die Geschichte bleibt allzu märchenhaft.

Patrick Tschan: Schmelzwasser.
Braumüller Verlag, Juli 2022.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Karina Luger.

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