Patricia Lockwood: Und keiner spricht darüber

Lohnt es sich, durchzuhalten?
Dieses Buch polarisiert! Schade, dass sich auch so einige 1-Sterne-Abbruch-Rezis tummeln.
Zuerst konnte sie überhaupt nicht tanzen, und dann konnte sie nicht mehr aufhören.“ (S. 216)
So erging es mir beim Lesen. Denn ich hatte das Gefühl, auf Twitter hängen zu bleiben und gezwungen zu sein, endlos weiter und weiter und weiter zu scrollen.

Patricia Lockwood erzählt die Geschichte einer Frau, die Social Media besessen ist – bis sie durch eine Tragödie in die Realität zurückgezogen wird. Das Social Web tapeziert die Gehirne derer von uns, die es zu oft benutzen, genauso wie es unsere Politik verzerrt.

Im ersten Teil des autofiktionalen Buches hetzt die namenlose Protagonistin hauptsächlich durch „das Portal“ und lässt uns auch teilhaben, wie gefangen sie sich darin fühlt. Sie hebt dabei genau das hervor, was wir daran lieben und verabscheuen. Soll sie eine Influencerin darstellen? Ich konnte sie kaum greifen und nachspüren. Sind die Texte absichtlich weird? Soll das cool sein oder kann das weg?

Leider habe ich mich so schwer getan, dranzubleiben an den zusammenhanglosen tweet-ähnlichen Textpassagen. Schwerelos, da handlungslos. Dennoch habe ich immer weiter gelesen in der Hoffnung, endlich Sinnhaftigkeit zu finden, um nicht gänzlich in dieser Belanglosigkeit zwischen all den Abstrusitäten zu versinken. Da spielte sich eine fiktive Realität ab, und mittendrin war plötzlich etwas Reales. Denn dann, ja dann, veränderte ein Schicksalsschlag das Leben der Protagonistin und alles wurde greifbarer. Und tragisch.

Im zweiten Teil war nichts Belangloses mehr zurückgeblieben, denn die junge Frau wird schlagartig in die reale Welt gezerrt. Die Texte sind nun angefüllt mit einer unausweichlich dramatischen Schwere, begleitet von der flirrenden Schönheit von Lockwoods Metaphern. Dieser Teil wurde scheinbar entwickelt, um dem Leser einen emotionalen Schlag zu verpassen, um tiefgründig und bedeutsam zu sein. Aber für mein Empfinden ist auch der Teil recht schwach ausgefallen und ich vermisse Tiefenschärfe.

Sind es genau dieser Kontrast und die erzählerische Diskontinuität, die die Autorin kreieren wollte?

Ich hätte mir im ersten Teil mehr von der emotionalen Wahrheit aus Teil zwei gewünscht. Denn die Plattitüden über Twitter und den eigenartigen Twitter-Humor finde ich schlicht unlustig und trivial.

Die Geschichte konnte mich emotional berühren, auch wenn sie recht eindimensional ist. Am Ende weiß ich nicht, was genau uns die Autorin mitteilen wollte. Liegt ein Blur-Filter auf mir und meiner Wahrnehmung? Ob meine Kritik Anklang findet, hat viel mit dem individuellen Lesegeschmack zu tun. Vielleicht wirst du dieses Buch lieben. Für mich ist dieses Werk ein recht glanzloses Leseerlebnis, trotz poetischer Note.

Patricia Lockwood: Und keiner spricht darüber.
Aus dem Englischen übersetzt von Anne-Kristin Mittag.
btb, März 2022.
224 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove.

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