Olivier Adam: An den Rändern der Welt

oliEigentlich hat Paul es im Alter von Anfang vierzig geschafft. Er verdient gut an seinen Romanen, schreibt Drehbücher und Reportagen. Jahrelanges Beobachten, Analysieren und ein damit einhergehendes Gefühl der Fremdheit haben ihn an den „Rand der Welt“ gebracht, der zugleich auch Abgrund oder Absturz in eine Depression sein kann. Während beruflich alles bestens läuft, ist sein Privatleben ein einziges Debakel. Seine Frau hat sich von ihm getrennt und die Kinder mitgenommen. Ein neuer Liebhaber steht vor ihrer Tür. Zur gleichen Zeit beschließt sein Vater, in eine Seniorenresidenz zu ziehen. Die Preise für Immobilien sind in Paris dermaßen in die Höhe geschossen, dass die Randbezirke – früher sozialer Brennpunkt – von der Mittelschicht aufgekauft werden. Pauls Elternhaus hat auf einmal einen Marktwert. Obwohl seine erkrankte Mutter nicht wegziehen möchte, wird das Haus verkauft, und Paul und sein älterer Bruder sollen beim Sortieren und Räumen helfen. Verdrängte Erinnerungen kommen hoch und lassen Paul keine Ruhe mehr.
Der französische Autor Olivier Adam, geboren 1974, schreibt spannend und zugleich einfühlsam aus der Perspektive eines geplagten Ich-Erzählers, der aus der sozialen Unterschicht kommend stets und überall seine Nase an den gläsernen Wänden und Decken wund gestoßen hat. Die Kluft zwischen Reich und Arm, Herkunft und Bildung, haben viele Freunde aus seiner Jugend nie überwinden können. Trotz Motivation und guter Noten blieb ihnen ein sozialer Aufstieg verwehrt. Auch Paul, der es vermeintlich geschafft hat, ist „oben“ nie angekommen. Er hängt zwischen allen möglichen Gruppierungen. Für feinfühlige, intelligente Menschen ein kaum zu ertragender Zustand.
Geschickt baut Olivier Adam seinen Spannungsbogen auf: Je mehr sich der Erzähler Paul seiner Vergangenheit in Rückblenden stellt, um so intensiver wird seine Wahrnehmung im Alltag von den Ereignissen in Fukushima gefangen genommen, die unaufhaltsam zu der bereits bekannten Katastrophe führten.
Paul selbst, ein Freund der japanischen Kultur, befindet sich – zum Glück – noch kurz vor seinem persönlichen „point-of-no-return“. Für jemanden, der liebt, dürfte die Neuausrichtung seines bisherigen Kurses keine Frage wert sein.
Fazit: eine fesselnde, packende Lektüre.

Olivier Adam: An den Rändern der Welt.
Klett-Cotta, März 2015.
424 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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