Nicol Ljubić: Ein Mensch brennt

Der mehrfach ausgezeichnete Journalist und Schriftsteller Nicol Ljubić (Jahrgang 1971) kam 1988 nach Deutschland und lebt aktuell in Berlin. In seinen Büchern verknüpft er Dokumentation und Fiktion wie zuletzt in seinen Romanen „Als wäre es Liebe“ (2012) und „Meeresstille“ (2010). In seinem neuesten Werk „Ein Mensch brennt“, das am 8. September 2017 bei dtv erschienen ist,  hat er mit Hartmut Gründler, einem (eher unbekannten) Politikaktivisten der 1970er Jahre, eine wahre Figur zum Dreh- und Angelpunkt seines Romans gemacht. Gründler verbrannte sich am 16. November 1977 in Hamburg aus Protest gegen die Atompolitik des damaligen deutschen Kanzlers Helmut Schmidt selbst. Ljubić widmet das Buch einem Zeitgenossen und Weggefährten Gründlers, dem inzwischen verstorbenen Wilfried Hüfler aus Tübingen, der ihn bei seinen Recherchen zur Person Hartmut Gründler intensiv unterstützte. In „Ein Mensch brennt“ trifft Hartmut Gründler auf die fiktive Familie Kelsterberg.

Ljubićs Roman beginnt damit, dass Hanno Kelsterberg, inzwischen Mitte vierzig, verstehen will, wie es Hartmut Gründler gelingen konnte, das Leben seiner Familie so grundlegend auf den Kopf zu stellen. Mit dem Einzug Hartmut Gründlers 1975 bei der Familie Kelsterberg beginnt sich das Leben von Hanno Kelsterberg und seinen Eltern Marta und Kurt zu verändern. Der Unternehmer Kurt Kelsterberg hält Gründler für einen Spinner. Hannos Mutter hingegen lässt sich nach und nach und dann mit Haut und Haaren auf Hartmuts Mission einer Welt ohne Atomkraft, Lügen und Gewalt ein. Die Lehrerin wird zur bedingungslosen Mitstreiterin und Unterstützerin, sie verteilt Flugblätter, nimmt an Demonstrationen und Protesten teil. Hanno, der fußballbegeisterte und aufgeweckte Zehnjährige, muss mit. Für die Familie beginnt eine neue Zeitrechnung: die Zeit vor Hartmut („v. Har.“) und die Zeit nach Hartmut („n. Har.“).

Über dem Engagement und der Emanzipation von Marta Kelsterberg zerbricht die Ehe. Nach Gründlers Tod zieht Marta mit Hanno nach Berlin. Dort sammelt sie alles über Gründler und findet scheinbar auch einen Journalisten, der ein Buch über den Aktivisten schreiben will. Sie stellt sich bis zu ihrem eigenen Tod vollkommen in den Dienst, die Botschaft Gründlers wach zu halten. Am Ende überlässt Marta es jedoch Hanno, die Geschichte von Gründler und den Kelsterbergs zu erzählen.

Nicol Ljubić ist mit „Ein Mensch brennt“ ein Meisterstück gelungen. Er verwebt völlig flüssig und leichtgängig die wahre Geschichte von Hartmut Gründler mit der der erfundenen Kleinfamilie Kelsterberg. Ljubić mischt Originaldokumente, wie die Briefe Gründlers an Helmut Schmidt oder Petra Kelly und die fiktiven Erinnerungen Hanno Kelsterbergs.  Dabei ist die Erzählperspektive sein Geniestreich. Erzählt wird die Geschichte von Hanno Kelsterberg, dem zehnjährigen Jungen, der als Erwachsener versucht, die Familientragödie zu verstehen.

Der Roman ist eingebunden in große Stücke deutscher Zeitgeschichte: der „Deutsche Herbst“, die Ölkrise, die aufkeimende Anti-Atomkraft- und Ökologiebewegung und die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima.

Hartmut Gründler mit seinem Idealismus, seinem Egoismus, seiner Beziehungs-, Empathie- und Freudlosigkeit, seiner Konsequenz  machen ihn zu einem sperrigen Charakter. Ein Mensch, der für seine Überzeugungen brennt, im doppelten Wortsinn. Demgegenüber steht der aufgeweckte, liebenswerte, schlitzohrige Hanno mit seiner Liebe zu den Eltern, seiner Begeisterung für Fußball, seiner unerschütterlichen Loyalität zu seiner Mutter und seiner vermasselten Kindheit.

„Ich hatte eine glückliche Kindheit. Zumindest bis Hartmut in unser Leben trat.“

Vor allem diese Figuren-Konstellation verschafft dem Buch die nötige Spannung. Ich als Lesende leide mit Hanno, wenn er mit den Flugblättern auf der zugigen Brücke steht oder stundenlang im Auto sitzt, um zu einer Demo gefahren zu werden, statt mit seinen Kumpels zu ‚pölen‘.

Ich hadere mit der Mutter Marta, die sich so rücksichtslos den Aktivitäten Gründlers verschreibt, so dass sie Hannos Geburtstag vergisst. Oder  ihn nicht vom Fußballtraining abholt.

Ich sympathisiere mit Vater Kurt, der hart arbeitet, aber das Leben genießt mit gutem Essen und Trinken und einem schnellen Auto. Der mit seinem Sohn Spritztouren macht, mit ihm zum Fußball geht und so viele Packungen Fußballerbilder kauft, bis Hannos „Bergmann-Sammelalbum“ vollständig ist.

Die Geschichte von Hartmut Gründler und der Familie Kelsterberg stellt die Frage: wie weit darf/soll ein Mensch gehen, um seine Ideale von einer „besseren“ Welt zu vertreten? Die Antwort darauf muss jeder Lesende selbst finden.

„Ein Mensch brennt“ ist eine zutiefst tragische, aufwühlende Geschichte, für die Nicol Ljubić genau den richtigen Ton gefunden hat. Und die er mit einem unfassbaren, schier unglaublichen Geständnis beendet. Bitte lesen!

Nicol Ljubić: Ein Mensch brennt.
dtv, September 2017.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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