So ein Journalistenleben, spannend gelebt, hat viel zu erzählen. Franka Magnani, Ulrich Wickert, Scholl – Latour, etc., oder eher Tiziano Terzani „Das Ende ist mein Anfang“, im Übrigen sehr beeindruckend von Bruno Ganz gespielt. Vielleicht haben sich die beiden ja auch gekannt, der eine, Terziani, war Spiegel -Reporter und in aller Welt unterwegs, ebenso wie Gürsel. Sie sind, oder waren, in etwa gleich alt. Also warum nicht? Während Terzani die Sache mit dem Altwerden und dem nahen Tod eher mit erkenntnisphilosophischem Hintergrund angeht, bleibt Gürsel wohltuend realistisch. Er mag den Tod nicht, hat aber gleichwohl ein Einsehen.
Es kommt, wie es kommt. Warum ich hier so rumschwafel, hat auch einen Grund. Eigentlich bin ich zu befangen, um eine Rezension zu schreiben. Wir hatten grad ein „Verfassungsreferendum“, welches die Diktatur in der Türkei nun auch legitimiert. Da sagt sich grad der Türke hier, Erdogan, das ist doch der, der an meiner statt den Bleichgesichtern hier die lange Nase zeigt. Der Mann verkörpert meine ganze heldenhafte Geschichte, meint der Türke hier und schneidet sich durch sein „Evet“ ein Nanonstel Gramm Heldsein ab! Und das durchzieht das ganze Buch, als hätten die Türken nur Helden gehabt in der Vergangenheit, egal, um welchen Scheiß man sich da bekriegt hat.
Gut, es ist eine militaristische Karriere die der Vater durchlebt und der Sohn muss sich den Wegen des Hauptmanns beugen, bis er schließlich in einem Eliteinternat in Istanbul landet. Das Ganze ist eine aufgeschriebene Tonbandaufnahme, durchaus authentisch, aber Gürsel, kommt sozusagen „von Höckschen auf Stöckschen“. So richtig konnte ich mich an den relevanten geschichtlichen Ereignissen, wie den Putsch 1960 nicht festhalten, weil im nächsten Satz quasi wieder „ein Zelt gebaut“ wurde, was beim pubertierenden Nedim nächtelanges Onanieren meint. Auch lernen wir seine Geliebte kennen, eine doppelt so alte Schönheit und Mutter eines Klassenkameraden. Das muss man natürlich in Land mit gelebter Doppel- und Dreifachmoral versteckt halten. Ich habe von meiner Tochter vor kurzem ein Buch mit lauter leeren Seiten- aber vielen Fragen – bekommen: Papa, erzähl doch mal…. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da irgendwas reinschreiben will oder werde. Wen interessiert es?
Auch Gürsel hat eine Tochter, mit der er sich aber überworfen hat. Es waren wohl seine ewigen Frauengeschichten. Aber auch Frauenhelden, oder grade die, sterben einsam. In ewiger Trauer über seine zu früh verstorbenen Mutter, seine Freude über das wunderbare Istanbul und seinem Zweifel an dem Hier und jetzt, hinterlässt Nedim Gürsel bei mir eine gewisse Ratlosigkeit: ich weiß wieder etwas mehr über die Türkei ohne ihr näher gekommen zu sein!
Nedim Gürsel: Der Sohn des Hauptmanns.
Dumont, März 2017.
318 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.