Monica Ali: Liebesheirat

Yasmin ist 26 und hatte bisher drei Liebhaber, mit dem dritten schmiedet sie Heiratspläne. Joe ist Arzt wie sie selbst. Sie arbeiten am gleichen Krankenhaus, er als Gynäkologe, sie in der Geriatrie. Ihre Familien könnten unterschiedlicher kaum sein und beim ersten Zusammentreffen von Yasmins Eltern mit Joes Mutter prallen Welten aufeinander. Harriet Sangster ist Feministin und Buchautorin, bekannt für provokante und gewagte Äußerungen. Sie spricht und schreibt offen über Sex. In Yasmins Familie ist das undenkbar. Ihre Eltern stammen aus Indien und die Mutter ist gläubige Muslimin. Der Fernseher wird schon bei der ersten Andeutung eines Kusses ausgeschaltet. So ergibt sich reichlich Konfliktpotential. Nebenbei liegt Yasmins jüngerer Bruder in ständigen Zwist mit dem Vater, und Joe, der Bräutigam, führt ein Doppelleben.  Yasmin kämpft darum, den Spagat zwischen den unterschiedlichen Anforderungen und ihren Bedürfnissen zu bewältigen, sie ist bestrebt, es allen recht zu machen. Gerade weil das nicht immer gelingt, entdeckt sie dabei ganz neue Seiten an sich und anderen.

Der Titel des Buches gilt generationenübergreifend. Die Ehe zwischen dem intelligenten, aber mittellosen Vater und der aus wohlhabendem Haus stemmenden Mutter ist in Indien nur als Liebesheirat vorstellbar. Im modernen London hat Yasmin den Anspruch, aus Liebe zu heiraten, ohne genau zu wissen, was das bedeutet. Als Ärztin weiß sie um die biochemischen Vorgänge – „ein vorübergehendes chemisches Ungleichgewicht“ (S. 581), als Frau wartet sie darauf, dass sich das Gefühl von Glück einstellt.

Der Roman ist thematisch vielschichtig. Im Vordergrund stehen unterschiedliche Konzepte von Liebe und Ehe, sowohl in Bezug auf traditionelle bzw. ethnische Kontexte als auch in der persönlichen Erfahrungswelt der Protagonisten. Dabei sieht sich Yasmin immer wieder mit überraschenden Wendungen konfrontiert, etwa, als sich ihre Mutter mit Harriet Sangster anfreundet und in deren Gesellschaftsabenden unbefangen über Feminismus und die Rechte von Frauen spricht.

Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Den Hauptteil nimmt Yasmins Sicht der Dinge ein. Der Text begleitet sie durch ihren Alltag, ihre Gedanken, Verletzungen und Träume. Mit feinem Humor beschreibt Monica Ali den Erkenntnisweg, auf dem Yasmin durch die Geschichte treibt und Gewissheiten revidieren muss. Erfahren muss, dass sich manche Urteile als Vorurteile erweisen.

In zwei deutlich sparsamer ausgeführten Erzählsträngen wird die Welt von Joe und seiner Mutter dargestellt. Gefiltert durch den Therapeuten Sandor Bartok erhält der Leser einen Einblick in die Gedankenwelt des jungen Mannes. In wenigen Abschnitten werden die Ereignisse auch aus der Sicht von Harriet Sangster geschildert.

Diese Aufteilung ist wohl der Entstehungsgeschichte des Romans geschuldet. Monica Ali wollte ursprünglich zwei Geschichten erzählen: die der Migrantenfamilie Ghorami und die der Familie Sangster. Im Laufe des Romans gelingt der Autorin, die Gegensätze zu verwischen. Das verbindende Element wird erst ganz am Schluss sichtbar.

Ich habe ein wenig gebraucht, um in den Text zu finden und wurde durch eine stimmig erzählte Geschichte mit Momenten zum Schmunzeln und solchen zum Innehalten belohnt. Und mit den Glücksgefühlen, die ein vorübergehendes chemisches Ungleichgewicht so auslösen kann.

Monica Ali: Liebesheirat.
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Merkel.
Klett-Cotta, März 2022.
592 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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