Michel Houellebecq: Unterwerfung

michelEs ist ja im Vorfeld viel geschrieben worden über diesen Roman. Meistens, dass er davon handeln würde, wie der Islam in Frankreich die Regierung übernimmt und wie begeistert Teile davon von der ehemals christlichen Bevölkerung adaptiert werden. Eine Beschreibung der modernen europäischen Gesellschaft, die sich selbst abschafft, weil sie sich überlebt hätte. Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo war „Unterwerfung“ dann in allen Medien. Obwohl ich Houellebecq eigentlich als viel zu sperrig und zu verkopft schon ad Acta gelegt hatte, bin ich dann doch noch mal schwach geworden. Und dieser Roman ist wirklich anders, als die Vorgänger. Zunächst einmal ist er gut lesbar. Immer noch schwere Belletristik, aber nicht mehr ganz und gar unverständlich. Er erzählt eine Geschichte, in der auch vorkommt, dass eine islamfreundliche Regierung an die Macht kommt und einiges in ihrem Sinne verändert. Parallelen sind wohl eher nicht zufällig: Zum einen betont Michel Houellebecq, wie es dieser Partei bereits in der Vergangenheit gelang, durch Jugendorganisationen Anhänger zu finden, zum anderen ist die Partei aber auch für die meisten anderen Parteien das kleinere Übel. Geschichtsinteressierten wird diese Konstellation bekannt vorkommen und Houellebecq arbeitet hier vermutlich bewusst mit Formulierungen, wie sie in jedem Geschichtsbuch für das Jahr 1933 stehen.

Hätte ich das Buch ohne die riesige Menge an Vorbesprechungen gelesen, hätte ich vermutet, dass er grundsätzlich eine Dystopie mit offenem Ende schreiben wollte. Dass er ein Buch darüber schreiben wollte, wie leicht man radikalen Regierungen auf den Leim geht und mit welchen Mitteln sie arbeiten. Denn es ist für den Literaturprofessor François – ebenso wie für seine Kollegen – durchaus von Vorteil, sich mit dem Koran zu beschäftigen und nicht auf dem eigenen christlichen Glauben zu beharren. Ich hätte vermutet, dass Houellebecq das Ende bewusst offen hält, damit der Leser seine Schlüsse selbst ziehen kann. Aber inzwischen ist so weit verbreitet, dass es um die Islamisierung Frankreichs ginge, dass ich das Buch schon unter diesem Vorurteil gelesen habe. Trotzdem kann ich dem nicht vorbehaltlos zustimmen. Es geht um Francois, einem Literaturprofessor in den Vierzigern, der gerade sein Leben infrage stellt und dann mit dem Regierungswechsel eine Möglichkeit sieht, dieses radikal zu ändern und dass auch noch von seiner Umwelt wohlwollend betrachtet. Damit lässt er sich – beinahe, denn das Ende ist wie gesagt offen – vor den Karren der neuen Regierung spannen. Für mich ist das eher die Geschichte eines typischen Mitläufers, der sich Informationen nur zur Beruhigung seines eigenen Gewissens holt und nicht aus Interesse oder zur echten Meinungsbildung, als eine Geschichte über die Islamisierung Europas. Es geht eher um das Bürgertum, das sich bereitwillig fügt, als dass es darum geht, was die neue Regierung eigentlich für Ziele hat. Oder einfacher ausgedrückt: Der Islam in seiner Rolle in diesem Roman ist austauschbar (durch jede Partei mit radikal-einseitigen Ansichten – wobei noch zu beachten ist, dass es ja nur um Houellebecqs Darstellung des Islam geht, nicht um die Realität); François dagegen ist die Typisierung des egozentrischen Europäers, der jedes System toleriert, solange es ihm nur nützt. Damit hat er alle Qualitäten eines Protagonisten, der zum Nachdenken anregt. Zum Nachdenken darüber, welche Tricks er verwendet, um vor sich selbst zu verschleiern, dass es doch eigentlich nur um ihn selbst geht.

Michel Houellebecq : Unterwerfung.
DuMont, Januar 2015.
280 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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