Mary Beth Keane: Wenn du mich heute wieder fragen würdest

Eine Familiengeschichte, eine Liebesgeschichte, eine Geschichte von Schuld und Verantwortung, all das ist dieser Roman. Ein Roman mit präzise ausgearbeiteten Figuren, lebensecht, sympathisch, mit Fehlern, Ängsten und Störungen, mit starken Persönlichkeiten und scheiternden Charakteren.

Kate und Peter wachsen auf als Nachbarskinder in einer Kleinstadt in der Nähe von New York. Ihre Väter sind beide Polizisten und haben kurz nacheinander die benachbarten Häuser in Gillam gekauft. Francis und Lena Gleeson haben drei Töchter, die jüngste ist Kate. Sie wird nur wenige Monate nach Peter geboren, dem einzigen Kind von Brian und Anne Stanhope. Während Lena in ihrer Familie zu Hause und mit Haushalt und der Erziehung der Kinder ausgelastet ist, kommt Anne nie wirklich im Kleinstadtidyll an und wird im Laufe der Jahre psychisch immer labiler. Das zeigt sich besonders in ihrem Umgang mit ihrem Sohn Peter und ihrer strikten Ablehnung seiner Freundschaft mit Kate. Schließlich ist genau das der Auslöser einer schlimmen Katastrophe, die das Ende der Freundschaft zwischen den Familien und die Trennung von Kate und Peter bedeutet. Sie verlieren sich aus den Augen.

Doch sie können sich nicht vergessen, auch als beide längst an Highschool und College sind. Es dauert lange, aber schließlich finden sie sich wieder und gegen alle Widerstände heiraten sie und gründen eine Familie. Dabei belastet der Vorfall aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit stets auch ihre Beziehung, begründen sich darin und im späteren Umgang damit wieder neue Vorfälle und Probleme.

Der Roman verfolgt die Geschichte der beiden Familien über viele Jahre und drei Generationen. Er erzählt mit klaren, aber gleichwohl zarten Pinselstrichen von Menschen, die vom Schicksal aneinandergebunden sind.  Er stellt die Frage nach der Verantwortung von Kindern für die Schuld ihrer Eltern und er zeigt, welche Schuld Eltern gegenüber ihren Kindern haben können. Vor allem aber ist der Roman auch ein Plädoyer für Vergebung.

Am meisten hat mich an dem Roman fasziniert, mit welcher Tiefe, mit wieviel Empathie und Verständnis, ja mit wie viel Liebe die Autorin ihre Figuren gestaltet, ihnen so viel Leben einhaucht, dass man am Ende des Romans meint, sich von Freunden zu verabschieden, mit denen man ein Stück Weg gemeinsam gegangen ist.  Es mag einige Längen geben, zum Ende hin hätte man die Handlung sicher etwas straffen können, dennoch hat mich das Buch von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, hat mich das Schicksal von Kate und Peter auch nach der letzten Seite nicht sofort losgelassen.

Ein wirklich bewegender, außerordentlicher Roman. Laut Klappentext wird bereits an der Verfilmung des Romans in Form einer TV-Serie gearbeitet. Man darf gespannt sein, ob sie an die Qualität des Buchs heranreichen kann.

Mary Beth Keane: Wenn du mich heute wieder fragen würdest.
Eisele Verlag, Oktober 2020.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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Ein Kommentar zu “Mary Beth Keane: Wenn du mich heute wieder fragen würdest

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