Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt

Die Autorin und Literaturvermittlerin Mareike Fallwickl (Jahrgang 1983) ist Österreicherin. Sie schreibt im Schwerpunkt über feministische, queere und diverse Themen. Mit „Dunkelgrün fast schwarz“ erschien 2018 ihr Debütroman. Es folgte 2019 der Roman mit dem Titel „Das Licht ist hier viel heller“. Nun ist am 22. März 2022 ihr dritter Roman „Die Wut, die bleibt“ bei Rowohlt Hundert Augen erschienen.

Was für ein krasses Buch! Schon nach den wenigen Seiten der Leseprobe von „Die Wut, die bleibt“, die der Rowohlt Verlag auf seiner Homepage zur Verfügung stellt, bin ich als Lesende wie vom Donner gerührt.

„Haben wir kein Salz, sagt Johannes…“ und dann steht Helene  wortlos vom Abendbrottisch auf, geht die paar Schritte bis auf den Balkon und springt aus dem fünften Stock. Zurück bleiben ihre Kinder Lola, Maxi und Lucius, ihr Ehemann Johannes und ihre beste Freundin -seit Kindergartentagen- Sarah.

So beginnt Mareike Fallwickl die Geschichte um die zurückgelassenen Familienmitglieder im Schock. Sie erzählt sie Kapitel für Kapitel abwechselnd aus Lolas und aus Sarahs Perspektive. Es ist das Pandemie-Jahr 2. Die fünfzehnjährige Lola ist eine kluge, bockige Teenagerin, die Skateboard fährt und sich auf ihre Freundin Sunny verlassen kann. Sarah ist eine erfolgreiche Krimischriftstellerin, unverheiratet und kinderlos. Aktuell lebt sie mit Leon, einem wesentlich jüngeren Mann zusammen. Sarah und Lola stemmen die Last des verwaisten Haushaltes und die Betreuung von Lolas jüngeren (Halb-) Brüdern, während Johannes arbeiten geht. Lola ist nicht Johannes Tochter. Helene bekam sie während des Studiums und hat sie mit ihren damaligen WG-Freundinnen aufgezogen. Lola ist traurig, verstört und wütend, sie verletzt sich selbst und vertraut sich nur Sunny in ihrem Leid an. Sarah macht sich Vorwürfe, weil sie Helenes Ausnahmesituation nicht erkannt hat und fühlt sich verpflichtet, der mutterlosen Familie zu helfen. Johannes spielt keine Rolle, er überlässt alles den beiden Frauen oder seiner alten, kranken Mutter und glänzt durch Abwesenheit. Maxi und Lucius vermissen ihre Mama sehr und schlafen mit Lola oder Sarah im großen Bett.

Dann werden Lola und Sunny beim Skateboardfahren von einer Gruppe Jungs angegriffen und verprügelt. Sie schließen sich einem Selbstverteidigungskurs an. Sarah versinkt immer tiefer in ihrer Rolle als Ersatzmutter.

Die Geschichte dieser Familientragödie wächst zu einem Stück über die Rolle von Frauen in unserer Gesellschaft heran.

Dabei kommt Lola die radikale Rolle zu. Sie ist es, die aufbegehrt und am Ende ihren eigenen Weg geht. Sarah kompensiert zunächst ihren eigenen Wunsch nach Kindern und Familie. Bis sie erkennt, dass sie zurück in ihr eigenes Leben muss.

Mareike Fallwickl verspricht ihren Leserinnen und Lesern auf dem Buchumschlag zu „Die Wut, die bleibt“: „Es wird schmerzhaft sein und fies, es wird mir wehtun und euch auch, es wird fiktiv sein und trotzdem wahr.“ Und genau das ist es auch. Die Geschichte von Helene, Lola und Sarah ist zutiefst berührend, gelegentlich abstoßend und realer als ich es mir als Frau wünschen würde. Hatte ich insgeheim doch angenommen, dass die Emanzipation der Frau schon gut voran gekommen sei. Doch weit gefehlt, wie uns die Corona-Zeit unübersehbar klar macht. Gleichberechtigung von Mann und Frau in Beruf, Familie und Haushalt eine Mogelpackung? Denn wer kümmert sich in Zeiten geschlossener Schulen und Kindertageseinrichtungen um die Kinder? Wer bleibt zu Hause und versucht neben Homeschooling, Kinderbetreuung und Hausarbeit noch „das bisschen“ Homeoffice? Und wer hält sich raus? Vielleicht nicht alle Männer, nein, aber ein Großteil von ihnen ist eben der Hauptverdiener, der Ernährer der Familie und hat damit eine Generalentschuldigung fürs Nichttun.

Die Wut von Lola und die Resignation von Sarah sind berechtigt. Noch ist es einfacher, die Last den Frauen aufzubürden, statt sich um Gleichverteilung zu bemühen. Noch können Männer ungestraft übergriffig werden, statt dafür hart bestraft zu werden. Noch ist die Gleichstellung aller Menschen nicht geschafft. Und davon erzählt Mareike Fallwickl in ihrem Roman „Die Wut, die bleibt“ auf aufwühlende Weise, bei der man nicht wegsehen kann. Sie hat eine Sprache mit unverbrauchten, unvergesslichen Bildern, wenn sie z.B. schreibt „Lola schläft in Splittern.“ (S. 49) oder „Der Geruch der Wohnung haut Sarah ins Gesicht wie eine flache Hand.“ (S. 54)

Dieses Buch ist Zeile für Zeile extrem, aufrührerisch und (leider) „wahr“. Bitte unbedingt lesen!

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt.
Rowohlt, März 2022.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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