Magnus Mills: Das Paradies, möglicherweise

Das Paradies moeglicherweise von Magnus MillsSimplifikation. Mit diesem Wort lässt sich der Aufbau des erstaunlichen Buches treffend beschreiben. Ein Feld, ein Fluss, ein paar Zelte samt Bewohnern, die kommen und gehen. Mehr braucht es nicht für einen Mikro-Kosmos, in dem die wichtigsten Fragen der Gesellschaft angestoßen werden. Wie im Großen, so im Kleinen. Selten wurde dieser Leitsatz aus den Hermetischen Schriften radikaler und kreativer umgesetzt.

Es gibt einen Ich-Erzähler, den Humanisten. Daneben einen Eremiten, eine schöne Frau, eine Gruppe von Abenteurern und einen seltsamen Mann, gehüllt in weiße, wallende Gewänder. Sie alle ziehen auf eine Wiese, das „Große Feld“, von dem es heißt, dass sich hier bedeutsame Dinge ereignen werden. Nach und nach stoßen eine ordnungsliebende Legion, eine wilde Seglerbande und friedliebende Selbstversorger dazu. Machen die Fremden das Feld bunter oder stellen sie eine Bedrohung dar? Eine simple Frage, die über die Zukunft der Gemeinschaft entscheidet.

Simplifikation lautet auch das Motto der Charakterzeichnung. Wir erfahren nichts über das Vorleben der Bewohner, zum Beispiel über ihre Arbeit oder woher sie stammen. Ihre Existenz definiert sich über ihr Dasein im Großen Feld. Hier leben die Protagonisten in den Tag hinein, ohne größere Ambitionen. Sie baden nackt im Fluss, sonnen sich, spazieren. Ihre Wünsche sind rudimentärer Natur: Wer bekommt den schönsten Zeltplatz? Wer gewinnt die Gunst der verführerischen Isabella? Jeder beobachtet jeden, manche gehen sich aus dem Weg, manche suchen die Nähe zueinander. Die kleine Gruppe bildet ein eigenes Biotop. Kaum bahnen sich Veränderungen in Form neuer Mitbewohner an, gerät das Gleichgewicht ins Wanken. Allianzen werden geschmiedet, Fronten verhärten sich. Neid, Streit  und Habgier sind die Folge. Es ist kein Zufall, dass die Themen Handel und Geld, zum Beispiel in Form von Wegezoll, mit den Neuankömmlingen eingeführt werden. Das (mögliche) Paradies verliert Stück für Stück seine Unschuld. Schuld daran tragen beide Seiten, die „Einheimischen“ und die „Eindringlinge“.

Einen Wendepunkt markiert der Bau eines Walls mitten durch das Feld. Für die einen dient er zur Ableitung von Regenwasser, für die anderen ist er eine Schutzmauer, wiederum andere sehen darin ein Symbol der Ausgrenzung.

Der Londoner Autor Magnus Mills arbeitet mit einprägsamen Archetypen und skurrilen Situationen, die zum Nachdenken anregen. Die Grenzen von Toleranz und eigenen Werten, das Vorwärtsstreben des Individuums aus dem Schoß der Gemeinschaft, das Finden des eigenen Platzes in der Welt – die Themen dieser modernen Menschheitssaga sind aktueller und wichtiger denn je.

Magnus Mills: Das Paradies, möglicherweise.
carl’s books, Oktober 2016.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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