Linda Vilhjálmsdóttir: Freiheit

Freiheit – in diesem Wort steckt eine außergewöhnliche Tiefe und eine Menge Sprengkraft. Wo beginnt die individuelle Freiheit, wo endet sie? Darf oder kann man die persönliche Freiheit einschränken, um eine Gesellschaft als Ganzes freier oder „besser“ zu machen – wie auch immer man „besser“ definiert? Geistige Freiheit, körperliche Freiheit, Entscheidungsfreiheit, gesellschaftliche Freiheit, politische Freiheit, religiöse Freiheit und noch so viel mehr – kann es einen Vorrang für eine Art der Freiheit geben, wenn dies eine andere beschneidet?

Die Antworten auf diese Fragen sind so vielfältig wie die Menschen, die darüber nachdenken. Linda Vilhjálmsdóttir widmet der Freiheit einen Gedichtzyklus, in dem sie darüber aus ihrer Sicht reflektiert. Im Hintergrund steht die Situation ihres Heimatlandes Island währende der letzten Finanzkrise. Doch die meisten ihrer Überlegungen und Einsichten lassen sich ohne weiteres in einen universellen Zusammenhang stellen.

Dies wird schon auf den ersten Seiten deutlich, wenn es heißt:

wir haben
das wort vervielfacht
auf erden

vervielfacht die festungen
zwischen himmel und erde
vervielfacht gott

vervielfacht das lachen
das weinen den hass und die gier
vervielfacht alles
zwischen himmel und erde
alles außer der güte

Empörung, Wut und eine klare Haltung sprechen aus ihren meist kurzen Versen, die bewusst einfach gehalten und dadurch umso kraftvoller und aufrüttelnder sind. Sie greift in ihrer poetischen Analyse Themen auf, die weltweit relevant sind – wie die Umweltzerstörung und Ausbeutung der Erde mit ihren Folgen, die Auswirkungen von (scheinbar) religiös motivierten Auseinandersetzungen oder die Individualisierung der Gesellschaft, in der jeder nur auf sich und seinen Vorteil schielt, gleichzeitig aber meint, alles richtig und gut zu machen. Und immer spürt man deutlich ihren Appell an die Leserinnen und Leser, etwas in ihrem Leben zu verändern, wenn sie die Welt als lebenswerten Ort erhalten wollen.

Die vier Teile des Gedichtzyklus sind miteinander verwoben. Letztendlich kann man sie wie einen kompletten Text lesen. Die Einzelteile können zwar auch für sich stehen, ihre tiefgreifende Gesamtwirkung entfalten sie jedoch vor allem im Zusammenhang.

Linda Vilhjálmsdóttir ist eine der bedeutendsten Lyrikerinnen der zeitgenössischen isländischen Literatur. Ihr Buch frelsi / freiheit ist in Island 2015 erschienen, wurde dort mit mehreren Preisen ausgezeichnet und gilt vielen Leser*innen und Kritiker*innen als eine der wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres. An Aktualität hat es in der Zwischenzeit nichts eingebüßt.

Wie für Sigurður Pálssons im Februar 2019 erschienen Lyrikband „Gedichte erinnern eine Stimme“ (Link auf Rezi) haben auch für diese zweisprachige Ausgabe von „freiheit“ Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer die Übersetzung aus dem Isländischen übernommen, die – soweit ich das beurteilen kann – ebenfalls sehr gelungen ist. Die Worte in Original und Übersetzung zu vergleichen, öffnet auch neue Blickwinkel, wenn man – wie ich – kein Isländisch beherrscht.

Eindringlich, emotional, verdichtet – so spricht Linda Vilhjálmsdóttir ihre Leserinnen und Leser an und liefert so einen hochpolitischen wie persönlichen Beitrag zur Diskussion über die Freiheit und gleichzeitig Anstöße für jeden Einzelnen zum Handeln.

Klare Empfehlung von mir für dieses eindrucksvolle Werk!

Linda Vilhjálmsdóttir: Freiheit.
elifverlag, September 2018.
120 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

 

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Ein Kommentar zu “Linda Vilhjálmsdóttir: Freiheit

  1. Pingback: Freiheit – Das Gedicht | Wortspiele: Ein literarischer Blog

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